Seiten 100 bis 156: Armee/
Didaktik |
Armee/Material: Seiten
101 bis 158 |
Teil VII |
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Unterrichtseinheit
Armee |
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Die Unterrichtseinheit
Armee, bei deren Konzipierung davon ausgegangen wurde, daß durch vorherige
Beschäftigung mit einer anderen Einheit die Problematik des Rassenkonfliktes
bekannt ist, soll anhand des Sozialisationsprozesses der Schwarzen in
der US-Armee eben diesen Prozeß und Ansatzpunkte für eine Emanzipation
von ihm verdeutlichen. Eine strikte
Trennung zwischen der Bundeswehr und der US-Armee wird in der Materialspalte
nicht eingehalten, da sie wegen der prinzipiell gleichen Zielsetzung und
der engen Zusammenarbeit der Armeen in der NATO nicht nötig scheint; vielmehr
wird so der engen Verknüpfung in bezug sowohl auf die außenpolitische
Zielsetzung als auch die ablaufende Sozialisation Rechnung getragen. |
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M 1 / M 2 Als Einstieg eignen sich Zeitungsmeldungen über Spannungen innerhalb der in
der BRD stationierten US-Streitkräfte oder auch solche über Auseinandersetzungen
zwischen US-Soldaten und deutscher Bevölkerung. Hier soll zunächst
der eine mögliche Unterrichtsstrang skizziert werden, der versucht,
die Hintergründe für Konflikte innerhalb der Armee herauszuarbeiten. Die
Schüler sollen im Verlauf des Unterrichts die Fähigkeit entwickeln können,
die gewonnenen Kenntnisse zur Beurteilung der den männlichen Schülern
zugedachten Rolle als Soldaten oder Ersatzdienstleistende zu verwerten.
Im Rahmen dieses Unterrichtsstranges erhält das Problem des Verhältnisses
zwischen Armee und Zivilbevölkerung Bedeutung nur als ein Teilproblem.
Der zweite Unterrichtsstrang (ab M 44) will die Einsicht in Vorurteilsstrukturen
der Schüler selbst und ihrer sozialen Umgebung fördern. (Das Material
könnte die Schüler anregen, aus dem Lokalteil von Zeitungen Berichte über
Straftaten von Deutschen wie Ausländern zu sammeln und unter dem Gesichtspunkt
des sozialen Hintergrunds von Tätern und Taten zu analysieren.) Als Ursache
für den zur Zeit außerordentlich stark in Erscheinung tretenden Konflikt
zwischen schwarzen und weißen Soldaten werden die Schüler entsprechend
den in einer anderen Unterrichtseinheit erworbenen Kenntnissen die Fortsetzung
der - schon im Zivilleben vorhandenen - Diskriminierung in der Armee sehen.
Aber diese Erklärung trifft nur einen Teil der Wahrheit. Es ist zu fragen,
wie es sich erklären läßt, daß in der Armee Spannungen sehr viel häufiger
und intensiver auftreten. M 1 belegt,
daß sogar das für eine militärische Organisation charakteristische Schema
von Befehl und Gehorsam zeitweise nicht zu funktionieren scheint. Warum
funktioniert es sonst? Warum funktioniert es in einem Fall, aber nicht
in anderen ähnlichen Fällen, die den Konflikt zwischen Schwarz und Weiß
markieren, der nicht nur in diesem einen Fall, sondern auch sonst oft
ein Konflikt zwischen Offizieren und Mannschaften ist? |
Schwerverletzte in der Hessen-Homburg-Kaserne Amerikanische Militärpolizei in Hanau forderte deutsche
Polizei an Der Tod dieses
Soldaten, dessen Name bisher noch nicht bekanntgegeben wurde, veranlaßte
offensichtlich am Sonntag 4o bis 45 farbige Soldaten, in der Bataillonsgeschäftsstelle
vorzusprechen. Sie verlangten ein Gespräch mit dem Bataillonskommandeur
oder dem kommandierenden General der Division. (.... ) Als Hauptmann Richard J. Jonston die Soldaten darauf hinwies,
daß sie eine dreiviertel Stunde warten müßten, sei es zu den Tumulten
gekommen, bei denen der Offizier niedergeschlagen worden sei. Außerdem
seien mehrere Räume der Kaserne verwüstet worden, bevor die Militärpolizei
die Rädelsführer festnehmen konnte und wieder Herr der Lage war. Die Militärpolizei alarmierte auf dem Höhepunkt der Tumulte ein Einsatzkommando
der deutschen Polizei mit einem Hund, das aber nicht mehr einzugreifen
brauchte. Der Tod des farbigen Soldaten und die Tumulte sind gegenwärtig,
nach Angaben des Pressestellensprechers der 3. Panzerdivision, Gegenstand
einer Untersuchung. lh (Frankfurter Rundschau [FR] v. 5.1.1971) |
M 2 Zwischenfälle mit Soldaten ma. SCHWEINFURT, 4. September. Als Antwort auf zahlreiche Zwischenfälle mit
farbigen amerikanischen Soldaten sind jetzt in Schweinfurt deutsch-amerikanische
Polizeistreifen gebildet worden. An Zahltagen hält sich außerdem US-Militärpolizei
im Polizeipräsidium der Stadt auf. Die Bevölkerung ist wegen mehrerer
Überfälle beunruhigt. So haben farbige Soldaten kürzlich ein deutsches
Mädchen und deren weißen amerikanischen Freund zusammengeschlagen. Als
die Polizei den mutmaßlichen Haupttäter festgenommen hatte, rotteten sich
6o Farbige vor der Wache zusammen und zogen, nachdem der Soldat wieder
auf freien Fuß gesetzt worden war, randalierend durch die Straßen. Schließlich
sollen auf das Konto der Soldaten noch drei Fälle von Vergewaltigung und
Diebstähle kommen. Auch haben US-Soldaten angeblich aus einem Auto heraus
auf einen Deutschen geschossen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung [FAZ] v. 5.9.1970.) |
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M 3 Dieser Zeitungsartikel zeigt das genaue Ausmaß des Konfliktes und seine Auswirkungen.
Er stellt M 1 als nur ein Beispiel in einen größeren Zusammenhang
und erläutert diesen, indem er bestätigt, daß der Rassenkonflikt in den
amerikanischen Streitkräften eine beträchtliche Rolle spielt.
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M 3 Rassenkonflikt
bei US-Truppen NEW YORK, 3. November (AP). Nach Ansicht von sachverständigen Beobachtern
könne es in der Bundesrepublik unter den dort stationierten amerikanischen
Soldaten jede Minute zu einem offenen Ausbruch von Feindseligkeiten kommen,
berichtet das amerikanische Nachrichtenmagazin »Newsweek« in seiner neuesten
Ausgabe. Obwohl nur zwölf Prozent der 185 000 US-Soldaten in Deutschland Farbige
seien, trete der Rassenkonflikt so stark in Erscheinung, daß die Haltung und
Kampfkraft der Truppen bereits ernsthaft beeinträchtigt seien, wie Beobachter
meinen. Scharfe
Disziplinarmaßnahmen seien kaum imstande, die militanten Farbigen, die sich
über die Diskriminierung ihrer Rasse beklagen, abzuschrecken. (FRv. 4. 11. 1970). |
M 4 Hier wird deutlich, was unter der
bereits erwähnten Diskriminierung im konkreten Einzelfall zu verstehen ist. Die aus den
gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA herrührenden Spannungen besonders
zwischen schwarzem und weißem Bevölkerungsteil können in der Armee besonders
deutlich hervortreten, da die relative Isoliertheit der Afro-Amerikaner
in den Gettos (»zwei Nationen«) in der Armee durchbrochen wird. Die aus
dem Rassenkonflikt herzuleitenden Ursachen für Spannungen in der US-Armee
- sie lassen sich unter erheblichen Vorbehalten vergleichen mit einem
Konflikt zwischen Soldaten aus der Mittelschicht und solchen aus der Unterschicht
in der Bundeswehr - sind in einem Zusammenhang zu sehen mit anderen Konflikten,
die für jede Armee charakteristisch sind.
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M 4 (. .) Die Negersoldaten berichten auch von subtileren Möglichkeiten, sie das
Zweitklassige ihrer Rasse fühlen zu lassen. Betreten sie einen überwiegend von
weißen Soldaten besuchten Klub, starren die anderen sie an, bis es ihnen
ungemütlich wird und sie wieder hinausgehen. Betreten sie eine von Weißen
besuchte Bar außerhalb der Kaserne, bedienen die Kellnerinnen später gekommene
Weiße zuerst, und manchmal wird ihnen auch »versehentlich« Bier über den Rock
gekippt. Wieder andere Soldaten berichten, ihr Hauptfeldwebel lasse sie als
Neger regelmäßig warten, während er sich mit viel später eingetretenen weißen
Soldaten ausgiebig unterhalte. Nahezu
überall trifft man bei den schwarzen Soldaten auf die Behauptung, sie würden
bei der Auswahl zu Beförderungen diskriminiert: die Unteroffiziere würden immer
irgendwelche Gründe finden, warum ein Schwarzer nicht befördert werden könne,
wohl aber ein Weißer. Ein Soldat berichtete zum Beispiel, sein Feldwebel habe
ihm monatelang erzählt, es sei keine Planstelle im Zug für seine Beförderung
offen. Kaum daß er versetzt war, wurden zwei Weiße im Zug befördert. Ein
anderer Neger wurde davon abgehalten, sich für einen Offiziersauswahllehrgang
zu melden, weil ein Feldwebel ihm erklärte: »Von euch kommen nicht viele
durch.« Die Neger meinen, sie als Schwarze müßten viel mehr leisten, um genauso
behandelt zu werden wie der durchschnittliche weiße Soldat. Viele geben auch
ihrer großen Besorgnis Ausdruck, ob sie wohl ihren in Vietnam erworbenen
Dienstgrad behalten, denn sie sehen die diskriminierende Neigung, Negersoldaten
schon bei kleineren disziplinaren Verstößen zu degradieren. (. . .) (Aus einem Bericht einer amerikanischen Armeezeitschrift, veröffentlicht in
der FAZ vom 11. 8. 1970 unter dem Titel: Schwarz gegen Weiß - ein schleichendes
Fieber.) |
M 5 / M 6 Diese jede Armee auszeichnenden Konflikte ergeben sich aus der besonderen
Sozialisationsfunktion einer Armee, die wahrgenommen wird, indem - im
Gegensatz zu anderen Sozialisationsinstanzen - zunächst und vor allem
in der Grundausbildung durch die rigide Unterdrückung individueller Bedürfnisse
Macht demonstriert wird, um so unbedingten Gehorsam zu erzwingen. Das
geschieht unter direkter physischer Bedrohung. Auf die Individualität
des einzelnen wird nicht eingegangen, es sei denn durch spezielle Maßnahmen
zur Gewährleistung von Anpassung an das Reglement und zur Durchsetzung
von Leistungsanforderungen. Diese Bedürfnisunterdrückung wird -
wenn auch u. U. und mit der zunehmenden Verinnerlichung der Normen seitens
der Unterdrückten in modifizierter Form - während der gesamten Dienstzeit
fortgesetzt. Das kommt zum Ausdruck in oft unverständlichen Disziplinanforderungen,
in der Schinderei durch Vorgesetzte, die kritiklos hingenommen werden
muß, wenn man sich nicht Repressalien aussetzen will, in der Einschränkung
der Möglichkeit von sexueller Befriedigung durch sehr gering bemessene
Freizeit, in der Konzentration von Männern und der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften
sowie in der Trennung von der gewohnten Umgebung, was besonders für ausländische
Soldaten große Probleme schafft. (Vgl. dazu: Amerikanische Soldaten leben
einfacher, in: FAZ v. 11. 10. 1971 - unterschiedliche Auffassungen in der US-Armee und der Bundeswehr über die
Unterbringung von Soldaten [»Heim« - »spartanische Härte«]: »Zum Beispiel
bevorzugten die Amerikaner für ihre Soldaten Schlafsäle mit 20 Betten,
die Deutschen dagegen Zimmer mit nur sechs Plätzen.« - Oder: Pin-up-girls
sind nicht nur zum Träumen da, in: FAZ v. 6. 11. 1971 - der o. a. behauptete
Unterschied der Auffassungen wird bestritten: » ›Viele junge Soldaten
sind empört über die Lebensbedingungen, die sie in Deutschland vorfinden‹,
sagt ein Offizier des Ingenieurkommandos Europa, ›wir brauchen uns nicht
zu wundern, wenn sie Depressionen kriegen‹.« Beide Artikel beschäftigen
sich mit den Schwierigkeiten der Finanzierung einer Renovierung der von
der Reichswehr übernommenen und inzwischen verfallenen Kasernen. Zum Komplex
Devisenausgleichszahlungen vgl. M 39 / M 40.) Der Übergang
vom Zivilleben in die Armee ist besonders konfliktgeladen auch wegen der
nunmehr direkt zu erfahrenden, unverschleierten Ausübung von Herrschaft
und wegen der gegenüber dem Zivilleben stark eingeschränkten Möglichkeit,
das durch das Befehl-Gehorsam-Schema stark angegriffene Selbstwertgefühl
in der Freizeit wiederherstellen zu können. ( Sport, Bd. I, S. 74; Werbung,
Bd. I, S. 134; Musik, Bd. I, S. 61) »Es sind - vereinfacht
dargestellt - im wesentlichen zwei (Ursachen der Triebunterdrückung, d.
Verf.): Einmal die in jeder Gesellschaft herrschende Moral mit ihren Gesetzen,
Normen und Werten, die vom ersten Lebenstag an mit Sanktionen und Gratifikationen
ein gewünschtes, konformes Verhalten erzwingt, das fast immer auf Triebverzicht
beruht und dem einzelnen nicht verstehbar erscheint. Dann aber die immer
koplizierter werdende technische Organisierung der modernen Gesellschaft,
die für den einzelnen ebenfalls nicht mehr durchsichtig ist und ihm, etwa
am automatisierten Arbeitsplatz, vor anonymen Behördeninstanzen oder in
tristen Wohngettos, nicht mehr erlaubt, Gefühlsbindungen zu »Objekten«
(Objektbeziehungen) herzustellen. Die rigorose Forderung, sich den Bedingungen
der Industriegesellschaft und ihres propagierten Ethos' anzupassen, bringt
individuelles kritisches Denken und soziale Verantwortung - Zeichen sog.
»Ich-Leistungen« - zunehmend zum Verschwinden. Individualität reduziert
sich auf Extravaganz, weil auf elementare psychische Bedürfnisse des Menschen
keine Rücksicht genommen wird. ( Werbung, Bd. I, S. 108) Die Natur des
Menschen »Die Sexualverdrängung
... schafft in der Struktur des bürgerlichen Menschen eine sekundäre Kraft,
ein künstliches Interesse, das die herrschende Ordnung auch aktiv unterstützt.
Ist nämlich die Sexualität durch den Prozeß der Sexualverdrängung aus
den naturgemäß gegebenen Bahnen der Befriedigung ausgeschlossen, so beschreitet
sie den Weg der Ersatzbefriedigung verschiedener Art.« ( Werbung, Bd.
I, S. 114) »So zum Beispiel steigert sich die natürliche Aggression zum
brutalen Sadismus, der ein wesentliches Stück der massenpsychologischen
Grundlage desjenigen Krieges bildet, der von einigen wenigen aus imperialistischen
Interessen inszeniert wird. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Die Wirkung
des Militarismus beruht massenpsychologisch im wesentlichen auf einem
libidinösen Mechanismus; die sexuelle Wirkung der Uniform, die erotisch
aufreizende, weil rhythmisch vollendete Wirkung der Parademärsche, der
exhibitionistische Charakter des militärischen Auftretens sind einer Hausgehilfin
oder einer durchschnittlichen Angestellten bisher praktisch klarer geworden
als unseren gebildetsten Politikern. Dagegen bedient sich die politische
Reaktion bewußt dieser sexuellen Interessen. Sie schafft nicht nur pfauenartig
ausstaffierte Uniformen für die Männer, sondern sie läßt wie in Amerika
die Anwerbung durch anziehende Frauen durchführen. Am Schluß sei noch
an die Werbeplakate der kriegslüsternen Mächte erinnert, die etwa folgenden
Inhalt haben: »Willst Du fremde Länder kennen lernen, dann tritt in die
Marine des Königs ein!«; und die fremden Länder sind durch exotische Frauen
dargestellt. Und warum wirken diese Plakate? Weil unsere Jugend durch
die Sexualeinschränkung sexualhungrig geworden ist.« (Wilhelm Reich,
Massenpsychologie des Faschismus, o. O. 19342. [Erhältlich
als Raubdruck] S. 53 f.) Ob die Werbung
für die Bundeswehr ebenfalls sexuelle Unterdrückung außerhalb der Armee
für ihre Zwecke benutzt (»Männer für die Bundeswehr«), indem sie als Möglichkeit
zur Bestätigung von »Männlichkeit« angeboten wird, könnte von den Schülern
u. a. anhand einiger Anzeigen (übrigens bevorzugt an Schülerzeitungen
gegeben) untersucht werden. Auch empirische Untersuchungen haben
gezeigt (vgl. u. a.: Robert C. Day/Robert L. Hamblin, Some Effects of
Close and Punitive Styles of Supervision, in: American Journal of Sociology, 1964, S. 499-510), daß Menschen auf die für
militärische Organisationen typischen Formen der Herrschaftsausübung mit
Aggressionen sowohl gegen die Auch-Beherrschten, ihre »Schicksalsgefährten«,
als auch gegen die Herrschaftsausübenden reagieren. |
M 5 Die Grundausbildungssituation
stellt allerdings insofern eine Streß-Situation dar, als die Rekruten
auf engstem Raum mit anderen zusammenleben müssen, mit Personen, die sie
sich meist nicht selbst aussuchen können. Hinzu kommt der weitgehende
Verlust der Freizeit, die strenge Unterordnung unter Vorgesetzte und der
ungewohnte Dienst. Diese Form des Streß unterscheidet sich aber grundlegend
vom oben genannten Streß durch äußere Bedrohung. Während das Führungsverhalten
dort als funktional empfunden werden kann und unter Umständen einen Ausweg
aus der bedrückenden Situation bietet, ist der Gruppenführer und sein
Verhalten hier selbst Bestandteil der Streß erzeugenden Situation. (Wolfgang Sodeur, Führungsstile, Spannungen und Spannungsbewältigung
in militärischen Gruppen, in: René König, [Hrsg.], Beiträge zur Militärsoziologie.
Sonderheft 12/1968 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,
[KZfSS] S. 304 f.). M 6 »Nach fünf Wochen hatten wir den ersten Ausgang. Bis 21 Uhr abends. Um 22 Uhr beim Zapfenstreich fehlten zwei Rekruten. Wir wußten nichts davon. Wir waren schon in den Betten. Um 23 Uhr wurde Alarm in der Kompanie gegeben. Wir mußten im Arbeitsanzug vor dem Kompaniegebäude antreten und standen unserem tobenden Kompaniechef gegenüber. Er erklärte, zwei Mann hätten den Zapfenstreich eine Viertelstunde überschritten. Als Kollektivstrafe ordnete er einen Maskenball an. Er sagte noch wörtlich: ›Einen Maskenball nach alter preußischer Sitte.‹ Es ging dann heiß her. Wir hatten sechs verschiedene Anzüge. Die mußten ständig gewechselt werden. Zeit: Fünf bis sieben Minuten. Wir schwitzten, wir fluchten, aber es war nicht zu ändern - es dauerte zwei Stunden. Danach befahl der Kompaniechef den zwei Zappenwichsern und vier anderen Soldaten, die schon mehrmals in der Woche aufgefallen waren, einen Nachtmarsch. Es wurden vier Ausbilder eingeteilt, die diesen Nachtmarsch überwachen mußten. Die zwei Soldaten, die den Zapfenstreich überschritten hatten, waren überhaupt nicht marschfähig. Die waren noch total betrunken. Einer von ihnen, das stellte ich dann am Morgen fest, wurde etwa gegen 8 Uhr von Ausbildern auf Stöcken in die Kaserne getragen. Sie mußten gleich wieder am Dienst teilnehmen. Ich weiß nicht, ob der Chef das gewußt hat. Der war sonst ... « (Heinz D. Stuckmann, Es ist so schön,
Soldat zu sein oder Staatsbürger in Uniform, Reinbek 1964, [rororo aktuell
Nr. 685] S. 22)
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M 7 Die in dieser frustrierenden Situation entstehende und die bereits vorhandene Aggressivität werden zur Erhöhung der Kampfmoral genutzt, denn eine Möglichkeit der ›Spannungsbewältigung‹ ist die Identifikation mit der unterdrückenden Institution oder Person, d. h. die unbedingte Anpassung an deren Forderungen. Auf diese Weise läßt sich auch das stark beeinträchtigte Selbstwertgefühl (scheinbar) wiederherstellen.
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M 7 Unzufriedenheit und Spannungen, ob sie infolge des Führungsverhaltens der
Gruppenführer oder aus anderen Gründen bei den Rekruten auftreten, können nicht
direkt beobachtet werden. Sie zeigen sich erst in Handlungen oder verbalen
Äußerungen der Rekruten. Die Möglichkeiten der Spannungsbewältigung durch
solche Reaktionen sind vielfältig und reichen vom Rückzug aus der
spannungserzeugenden Situation bis zur Identifikation mit der Person oder
Institution, die für die Spannungen verantwortlich ist. (Wolfgang Sodeur, in: KZfSS, a. a. O., S. 306) |
M 8 Schon in dem oben angeführten Zitat von Wolfgang Sodeur (M 5) wird
deutlich, wie diese Identifikation am besten zu erreichen ist: das
»Führungsverhalten« wird als »funktional« empfunden, wenn derjenige, der führt,
auf eine äußere Bedrohung verweist. Und hier sagt der Militärsoziologe Sodeur,
der u. a. auch in der »Reihe Führungshilfen« der »Schriftenreihe Innere
Führung« (herausgegeben vom Bundesminister der Verteidigung) veröffentlicht,
das ganz deutlich. Nur so lassen
sich potentiell gegen den Führenden gerichtete Aggressionen »sinnvoll«
umlenken, denn es werden Möglichkeiten der »legalen« Aggressionsabfuhr
aufgezeigt. »Die Methoden
moderner Militärausbildung machen den Menschen vollends zum willen- und
gedankenlosen Bestandteil der Kriegsmaschinerie, zum efficient Soldier, wie der
amerikanische Psychoanalytiker Kurt Eissler nachgewiesen hat. Denn die
jungen Wehrpflichtigen sind ohnehin bereits ... frustrierte Menschen, die zu
Aggressivität bereit sind. Hinzu kommt, daß beim Menschen die natürliche
Tötungshemmung, die etwa das Tier instinktiv davor zurückschrecken läßt, dem
unterlegenen Artgenossen die Kehle durchzubeißen, gefährlich herabgesetzt ist.
Die Waffe drückt die Tötungsschwelle weiter herab: einmal durch ihre
Faszination, die sie auf die meisten Menschen ausübt, zweitens durch die
Distanz, die sie zum Gegner hält. (... ) Im Krieg wird
Töten vollends sittliche Pflicht, gefordert und gesegnet von den höchsten
gesellschaftlichen Autoritäten: Politikern, Juristen, Priestern, Wissenschaftlern,
Künstlern.« (Anton Andreas Guha, a. a. O.) |
M 8 Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, daß in Gruppen unter Streß die
inneren Spannungen an Bedeutung verlieren und eine straffe Führung von den
Gruppenmitgliedern weit eher akzeptiert wird als in Situationen ohne »äußeren
Druck«. Für solche Streß-Situationen können sehr unterschiedliche Ursachen
verantwortlich sein, z. B. extreme klimatische Bedingungen, sportliche
Wettkämpfe gegen gleichwertige oder überlegene Gegner, harter Konkurrenzkampf
um Absatzmärkte, Gefechtseinsatz im Krieg. Gemeinsam ist diesen Bedingungen,
daß sie für den einzelnen oder für die Gruppe eine Bedrohung darstellen. Unter
dieser Bedrohung erhält das Gruppenziel zentrale Bedeutung für alle
Beteiligten; individuelle Ziele treten zurück oder werden mit dem Gruppenziel
identifiziert. Je größer die Bedrohung von außen ist und je bedeutsamer die
Gruppenaufgaben den Gruppenmitgliedern erscheinen, desto mehr wächst das
Bedürfnis nach wirksamer Führung. Einmal steigen damit die Einflußchancen des
Gruppenführers. Zum anderen wird selbst eine strenge Führung, die unter anderen
Bedingungen wahrscheinlich nicht im Interesse der Gruppenmitglieder läge,
bereitwilliger akzeptiert oder sogar als Hilfe empfunden. (Wolfgang Sodeur, in: KZfSS, a. a. O., S. 303 f.)
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Die Bedrohung durch den Kommunismus wird von allen Armeen der »westlichen
Welt« konstatiert. Auf diesem Umweg verschaffen sie sich auch die Rechtfertigung
für ihren Einsatz im Inneren, wie er in der BRD durch die Notstandsgesetze
legalisiert wurde. (In seinem Buch, das als Materialgrundlage Publikationen
des Führungsstabes der Bundeswehr wie die »Information für die Truppe«
und die »Schriftenreihe Innere Führung« hat, setzt sich Thielen mit der
Konzeption der Inneren Führung und ihrer Realisierung im politischen Unterricht
in der Bundeswehr auseinander. Im Detail geht er u. a. auf die hier nur
skizzierten Komplexe wie die Vermittlung von Antikommunismus und recht
eigenwilligem Demokratieverständnis durch diese Publikationen ein.) |
(Bundesministerium für Verteidigung
[Hrsg.], Handbuch Innere Führung, o. O. 1964, S. 35. Zitiert nach Hans Helmut Thielen, Der Verfall der Inneren
Führung, Frankfurt 1970 [Europäische Verlagsanstalt], S. 133) |
M 10 Der Weltkommunismus ... versucht, auf alle Lebensbereiche der
Gesellschaft in den nichtkommunistischen Staaten einzuwirken . . . Dieses Kampfverfahren heißt heute verdeckter
Kampf. Der verdeckte Kampf besteht aus einer Vielzahl zusammenhängender,
von den Kommunisten gegen die legale Staatsführung gerichteter offener
oder subversiver Aktionen. Träger sind illegale Gruppen, die nicht offen
hervortreten. Der verdeckte Kampf kann im Frieden
als innerstaatliche Auseinandersetzung geführt werden ... Er wird immer
von den Kommunisten von außerhalb gesteuert und materiell und
propagandistisch unterstützt. Nach ihren Absichten wird er begonnen,
ausgeweitet, abgeschwächt oder eingestellt, allerdings immer nur soviel, als
ihnen die Abwehrkräfte des Gegners Spielraum lassen. Im
Mittelpunkt dieser Kampfführung, in der sich politisch-psychologische
Beeinflussung mit Gewaltandrohung und versteckter oder offener Gewaltanwendung
verbinden, steht die Bevölkerung. Ohne ihre Passivität, Duldung oder
Unterstützung kann der verdeckte Kampf von den Kommunisten nicht gewonnen
werden. (Hans Edgar Jahn. u. a. [Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für
Verteidigung], Taschenbuch für Wehrfragen 1966/67, Frankfurt, S. 120 f.,
Hervorhebungen im Original. Zitiert nach Thielen, a. a. O., S. 130) |
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M 11 Diese abstrakte Umlenkung der Aggressivität im Antikommunismus genügt der
menschlichen Psyche jedoch nicht. Zusätzlich müssen Möglichkeiten des
konkreten, direkten Abreagierens vorhanden sein. Der berühmte »Schleifer
von Nagold«, der oben (M 6) ein Detail seiner eigenen Ausbildung schilderte,
ist ein Beispiel dafür. Durch Zuckerbrot (»... Drittbester ... «) und
Peitsche wurde er verwendbar als
Sozialisierender; er identifizierte sich mit der Bundeswehr in der eben
beschriebenen Weise und hatte dann in seinem Beruf ein Ventil für in ihm
aufgestaute Aggressionen. Nach Meinung seiner Vorgesetzten erfüllte er
seine Aufgabe vorzüglich. Unter den Vorwand
der »kommunistischen Bedrohung« lassen sich irrationale und inhumane Verhaltensweisen
rechtfertigen - und zwar sowohl politisch als auch individualpsychologisch.
Nur durch einen »Betriebsunfall«, nämlich durch den Tod eines »Sozialisierten«,
konnte in diesem einen Fall die Abfolge An der Reaktion der Öffentlichkeit auf diesen Fall zeigte sich aber auch die
Rückständigkeit der Sozialisationsinstanz Armee; es soll nun, entgegen
den Bestrebungen des Offizierskorps, durch Institutionen wie die des Wehrbeauftragten
des Deutschen Bundestages, an den von allen Soldaten unter Umgehung des
Dienstweges geschrieben und appelliert werden kann, an das Niveau anderer
Sozialisationsinstanzen angehoben werden.
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M 11 »Sie haben sich dann später für zwei Jahre verpflichtet. Das finde ich
eigentlich sehr eigenartig nach diesem äußerst harten und - wie Sie selber auch
sagen - zum Teil sehr unsinnigen Treiben. Nach dem verrückten
Unterführerlehrgang haben Sie sich sogar für vier Jahre verpflichtet. Wie kam
das? Können Sie das begründen?« »Ja - die Gründe hierfür... Man weiß
nie, ob man einen Unteroffizierslehrgang besteht. Es wurde uns schon vorher
gesagt, daß er sehr hart sei. Es wird nicht nur theoretisch, sondern auch
körperlich viel verlangt. Es sind ... « »Entschuldigung! Ich sehe da keinen
Zusammenhang. (. . .) Hat es Ihnen doch irgendwie Spaß gemacht?« »Mir hat die ganze Sache Spaß gemacht - auch der Unterführerlehrgang.
Zunächst zwar nicht; wenn man da aber als Drittbester abschneidet, dann vergißt
man das Schwere.« »Es geht doch
nicht darum, ob es hart oder schwer war. Es geht darum, daß es übel war. Sie
haben es erkannt und trotzdem mitgemacht. Das verstehe ich nicht! « »Ich wurde
außerdem in der Rekrutenzeit politisch überzeugt von unserer Bundeswehr. Ich
sagte mir damals, die Bundeswehr muß sein. Wenn die Russen kommen und so... Das
war eigentlich der Grund, warum ich Berufssoldat werden wollte - gerade in der
Fallschirmtruppe. Das wurde auch von morgens bis abends gepredigt. Die
Tradition werde fortgesetzt und so... " (Stuckmann, a. a. O., S. 28 f.) |
M 12 Besteht keine Möglichkeit, die in der Armee erzeugten und auch noch aus dem
Zivilleben herrührenden Aggressionen »legal« an Untergebenen oder am »Feind«
auszuleben, wie das bei einfachen Soldaten besonders in Friedenszeiten
der Fall ist, und lassen sich gar - wie bei schwarzen US-Soldaten - aus
rassischen Gründen durch Diskriminierung erzeugte überdurchschnittlich
starke Aggressionen aufgrund ihres spezifischen Ursprunges schlechter
politisch kanalisieren, ist physische Gewalttätigkeit eine Möglichkeit
der Aggressionsabfuhr. Für schwarze US-Soldaten bieten sich als ›Objekte‹
dieser Abfuhr zunächst weiße Soldaten an, besonders dann, wenn sie im
Falle von Rassendiskriminierung keine Unterstützung durch Vorgesetzte
erwarten können, aber auch weil die sie direkt und unmittelbar beherrschenden
und kommandierenden Personen Weiße sind. Vor allem wegen der Ohnmacht
gegenüber offener Unterdrückung wird Aggressivität während der Militärdienstzeit
sehr verstärkt. Neben der durch die eng eingegrenzte Rollenerwartung und Diskriminierung besonders bei Schwarzen erhöhten Aggressionsbereitschaft gegenüber eigentlichen »Schicksalsgefährten«, die sich in ständigen, verhältnismäßig kleinen Reibereien äußert, passiert es aber auch, wie in M 2 erwähnt, daß schwarze Soldaten ihre Aggressionen gegen die Unterdrücker richten, wenn deren Funktion als solche zu deutlich wird. Doch bleibt es oft bei einem emotional bestimmten gewalttätigen Aufbäumen gegen die nächsten Vorgesetzten. Das endet meist mit der Versetzung der Beteiligten oder der Einlieferung in ein Militärgefängnis, oder aber sie werden nach Vietnam abkommandiert. (Vgl. FAZ v. 11. 8 . 70: Schwarz gegen Weiß - ein schleichendes Fieber,
s. M. 4; FR v. 30. 10. 71: Fall ›Darmstadt53‹; siehe auch M 31 / M 37
/ M 38 / M 39 / M40 / M 44 / M 45 / M 46). Washington auf,
strenge Sanktionen gegen die Bundesrepublik einzuleiten, wobei er sogar
Truppenreduzierungen nannte, wenn Deutsche weiterhin Neger diskriminierten,
indem sie ihnen keine Zivilwohnungen vermieteten. »Wir haben Truppen in
dem Land eines früheren Feindes stationiert, der vielleicht in einem gewissen
Sinn immer noch unser Feind ist«, erklärte Aims. Er fuhr fort, den heutigen
Wohlstand verdankten die Deutschen auch dem Beistand der amerikanischen
Soldaten. Er stelle dies nur fest, um damit zu unterstreichen, daß schwarze
US-Soldaten nicht schlechter behandelt werden dürften als ihre weißen
Kameraden. AP/FR (FR v. 13.11.1971)
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M 12 ,Vielleicht ist er noch immer unser
Feind... ` Nach einem Geheimbericht über Kriminalität farbiger und weißer amerikanischer
Soldaten in Europa sollen Neger über zwei Drittel aller Schwerverbrechen
von US-Soldaten in der Zeit von Oktober 1970 bis September
1971 verübt haben, obwohl nur 14 Prozent der in Europa stationierten Soldaten Farbige
sind. (...) Nach den bisher
bekanntgewordenen Einzelheiten führt er für den angegebenen Zeitraum insgesamt
2984 von Negern verübte Fälle von schweren tätlichen Angriffen,
Raub und Vergewaltigung auf, denen nur 740 von weißen Soldaten
verübte vergleichbare Straftaten gegenüberstehen. (...), wobei der Bericht Zahlen über
Verbrechen von Weißen an Negern nicht aufführt. Weitere in dem
Bericht aufgeführte Zahlen beleuchten etwa Gruppenauflehnung gegenüber
Vorgesetzten, wobei es sich hier in den meisten Fällen um ein gemeinsames
Einstehen mehrerer Farbiger gegenüber Militärpolizisten und Vorgesetzten
handeln dürfte. Außerdem werden Angaben über die Zahl militärisch eingekerkerter
US-Soldaten in Europa gemacht. Danach waren im Oktober insgesamt 431 US-Soldaten »im Bau«, davon 206 Neger, 202 Weiße, und 23 Farbige anderer
Rassen. Nach Bekanntwerden
des Berichts ging der Sprecher einer amerikanischen Bürgerrechts-Liga
in der US-Armee, Harold Aims, auf eine der möglichen Wurzeln der höheren
Kriminalität - die Isolierung - ein. Er forderte die Regierung in |
Eine andere Möglichkeit, mit Aggressionen ›fertig zu werden‹, ist die Zuflucht
zu Rauschmitteln. Wie empirische Untersuchungen von ›Wehr‹-Soziologen
gezeigt haben, muß das Rauschbedürfnis tiefer als nur im Führungsverhalten
verwurzelt sein. Wo es seine Wurzeln hat, wurde in M 5 und M 6 aufzuzeigen
versucht. F. J. Degenhardt
(»P. T. aus Arizona«, in: Ders., Spiel' nicht mit den Schmuddelkindern,
Reinbek 1969 [rororo Taschenbudt 1168], S. 103 f.) versteht das, was Sodeur
als »›spannungslösende‹ Verhaltensweise« bezeichnet, zu illustrieren:
Alkohol, Bordell, und wenn das alles gegen die übermächtige Realität in
Gestalt des Marschbefehles nach Vietnam nichts mehr auszurichten vermag,
der »Rückzug«, (vgl. M 7), die Desertion nach Frankreich. Welche politische
Bedeutung - und ob überhaupt eine - dieser Schritt hat, könnte Gegenstand
einer Diskussion in der Klasse sein; diese Diskussion sollte die Lage
der Deserteure in Schweden berücksichtigen. An dieser Stelle
böte sich eine Befragung der Bekannten der Schüler, die bei der Bundeswehr
waren oder sind, über ihr Freizeitverhalten an. Entsprechend den bisher
aufgezeigten Aggressionsabfuhrmöglichkeiten könnte ein Fragenkatalog zusammengestellt
werden, der aber so zu konstruieren wäre, daß auch hier nicht berücksichtigte
Formen des Freizeitverhaltens erfaßt würden. Anhand der Befragungsergebnisse
wären die bisher aufgestellten Thesen, das bisher Erarbeitete zu überprüfen,
was natürlich nur unter Berücksichtigung der Zahl der Befragten und ihrer
wahrscheinlichen Glaubwürdigkeit - man bedenke die »Unmoral« mancher Möglichkeiten
der Aggressionsabfuhr - geschehen kann. Ist so eine
verstärkte Motivation zur Weiterarbeit geschaffen worden, kann man sich
dem im folgenden angesprochenen Problem des Haschischkonsums zuwenden,
das vielleicht auch bei der Fragebogenaktion schon berührt wurde, da es
in letzter Zeit audi in der Bundeswehr an Bedeutung zu gewinnen scheint. Es gibt Rauschmittel, die in ihrer
Funktion als »Spannungslöser« offiziell anerkannt sind - über einen Betrunkenen
macht man sich höchstens lustig - andere hingegen sind
tabu. Aber daß Soldaten »saufen«, ist geradezu ein Bestandteil militärischer
Tradition. Die Musterung und jeder Wochenendurlaub werden von den meisten
Soldaten dazu benutzt, »den Kummer zu ertränken«. Aufmerksam auf
den Rauschmittelkonsum werden offizielle Stellen erst, wenn Haschisch
benutzt wird. Der Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
(s. Das Parlament, 21. Jg., Nr. 18, 1.5.1971, S. 1 ff.) beschäftigt sich
unter der Überschrift »Rauschmittelkonsum in der Bundeswehr« (S. 11, vgl.
auch M18) ausschließlich
mit Haschisch und dem Diebstahl von LSD. Über das Ausmaß des Alkoholkonsums
gibt es keine Statistiken. In der US-Armee
ist der Konsum von Haschisch und Marihuana so weit verbreitet und hoch,
daß ihm mit Verboten nicht mehr beizukommen ist. (Nach einem Bericht der
FAZ vom 1.5.1971 haben mehr als die Hälfte der 2,9 Millionen amerikanischen
Soldaten »Rauschgift«-Erfahrung.) Versuche wie
der nebenstehend geschilderte in einer 118 Personen umfassenden
Einheit in Vietnam, Marihuana zu integrieren und wenigstens darüber hinwegzusehen,
solange jeder die mit seinem »Job« verbundenen Aufgaben erfüllt, scheinen
nicht den erhofften Erfolg gehabt zu haben; offensichtlich ließ sich das
Marihuanarauchen nicht auf den Feierabend beschränken. So wird die Kampfmoral
durch die informelle Legalisierung von Marihuana als Ventil für Aggressionen,
die sich sonst verstärkt gegen die Vorgesetzten richten würden, nicht
verbessert. Vielmehr werden die Aggressionen - eben dadurch, daß der Rauschmittelkonsum
zeitlich nicht begrenzt werden kann - teilweise neutralisiert. Das Resultat
sind Soldaten, die versuchen, möglichst heil davonzukommen, indem sie
aggressiven Befehlen einfach keinen Gehorsam leisten, und starke Bestrebungen,
den Krieg zu » vietnamisieren«, deren Erfolgsaussichten aber gering eingeschätzt
werden müssen. Zu miserabel sind die Lebensbedingungen, zu uneinsichtig
ist das vorgebliche Ziel der Südostasien-Politik der USA, zu direkt einsichtig
aber andererseits der offen aggressive Charakter der »search-and-destroy«-Taktik,
bei der der eigenen Bedrohung das Suchen nach Feindkontakt vorausgehen
muß und die dem Charakter der amerikanischen Politik in Indochina angemessen
ist; das haben erst kürzlich wieder Veröffentlichungen regierungsamtlicher
Dokumente durch amerikanische Zeitungen belegt (inzwischen auch in Buchform
erschienen: Die Pentagon-Papiere, München/Zürich 1971.[Droemer/Knaur 271),
deren Inhalt die Analysen der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung bestätigt hat.
Zu stark und zu lange sind die Zweifel an der Berechtigung des Krieges
durch diese Bewegung im eigenen Land den Soldaten bewußt gemacht worden. Die gleichen
Zweifel und mit ihnen verbunden ein Fragen nach der Moral der Gesellschaft,
die etwas wie den Vietnamkrieg hervorbringt und über Jahrzehnte hinweg
eskaliert, führten in manchen Fällen zur Politisierung von Jugendlichen
in Westeuropa und bildeten einen wichtigen Faktor bei der Entstehung der
Studenten- und Schülerbewegung. Auf diesen ganzen Komplex,
der seinen am deutlichsten meßbaren Ausdruck in den stetig steigenden
Zahlen der Kriegsdienstverweigerer in Westdeutschland findet, soll am
Ende dieses Unterrichtsstranges genauer eingegangen werden (s. M 39 /
M 40 / M 41 / M 42). |
Eindeutige Zusammenhänge
zwischen verschiedenen Formen des Vorgesetztenverhaltens und »spannungslösenden«
Verhaltensweisen (u. a. Alkoholkonsum, Streitigkeiten und Krankmeldungen)
konnten jedoch nicht festgestellt werden. Nur die Häufigkeit der Krankmeldungen
stand in einer Beziehung zum Verhalten der Vorgesetzten: ... (Wolfgang Sodeur, Führungsprobleme
in der allgemeinen Grundausbildung, Bonn 1969, S. 52 [Schriftenreihe Innere
Führung; Reihe Führungshilfen, Wehrsoziologische Studien, Heft 6. Herausgegeben
vom Bundesminister für Verteidigung.] Hervorhebung im Original.) M 14 (... ) In den
letzten zwölf Monaten haben sich rund 18 Prozent aller (amerikanischen;
Anm. d. Verf.) Truppeneinheiten drei- bis viermal unerlaubt vom Dienst
mehrere Tage selbst »beurlaubt«, und 10 Prozent sind auf die Dauer fortgeblieben,
also Deserteure geworden. Die Gesamtzahl der Deserteure in den letzten
zwei Jahren wird von den zuständigen Militärbehörden auf weit mehr als
100 000 Mann geschätzt.
(... ) (Heinz Pol, Erstklassige Soldaten sind sie nicht mehr, in:
FR v. 23. 9. i97I.) M 15 After the jungle, firebase defense is like garrison duty, and the men relish
it. Alpha1 splits into two roughly equal groups for the evening
parties: the »juicers« lay in supplies of cold beer, while the »smokers«
roll their joints and pack their pipe bowls with strong Vietnamese marijuana.
Estimates on marijuana users within Alpha vary from Utermahlen's2
low of 7 % up to the senior pothead3 in the company's enthusiastic
85 %. »We pass the pipe around«, says a squad leader, »and we ask what
the hell are we doing here? « Among the grunts4 there
is a general taboo against smoking grass in the field, although some do:
»We had one guy who was on grass all the time, and he won the Silver
Star. He had it down to an exact science. He'd feel the breeze blowing
away from the lifers, and he'd say, ›Hey, the wind's right. Let's get
nice.‹« Utermahlen is
resolutely opposed to marijuana. »It has no place in the field, where
you rely on quick thought and reflexes. I know the people who smoke it,
but I can never catch them.« Marijuana smoking is so extensive, that anything
more than token enforcement would antagonize a dangerously high percentage
of the company. No commander as perceptive as Utermahlen cares to risk
confrontations of that nature in Vietnam just now. So downwind from Firebase
Betty at night, it sometimes smells as though a large haystack were burning.
Utermahlen's views on military appearance are also relaxed. »What they
wear or look like out in the field is very low on my list of priorities.
It's one of the compromises I make. As long as a man does his job, I don't
care if he wears peacebeads or symbols or if he shaves.« (John Saar,
You can't simply hand out orders, in: LIFE v. 9. 11. 1970. Anmerkungen:
1. Name der Einheit; 2. Name des Führers der Einheit; 3. slang für »Hauptmarihuanaraucher«;
4: slang für »Infanteriesoldaten«.) |
M 16 Die zunehmende Verbreitung von Heroin führt zu zeitweilig völliger Kampfunfähigkeit.
Außerdem stellen heroinsüchtige Soldaten in den USA eine potentielle Gefahr
dar: Sie werden sich das Gift gewalttätig beschaffen, wenn ihre finanziellen
Mittel zum Kauf desselben nicht ausreichen. Die einzige Alternative ist,
daß sie Wohlfahrtsunterstützung in Anspruch nehmen müssen. (Um diesen
Folgen vorzubeugen, wurden Untersuchungen für alle Vietnam-Heimkehrer
angeordnet, die vorläufig ergaben, daß nur zwei Prozent heroinsüchtig
sind, ohne daß aber die Möglichkeiten berücksichtigt wurden, die Untersuchungsergebnisse
durch Unterbrechung des Heroinkonsums zu verfälschen. (s. FAZ v. 7. 7.
1971) Neuere Berichte sprechen von knapp fünf Prozent Heroinbenutzern
(FR v. 20.7.1971). Alle diese Zahlen demonstrieren deutüch, welchen psychischen
Belastungen die Soldaten ausgesetzt sein müssen.
|
M 16 Heroin unter GIs weit verbreitet WASHINGTON, 25. Mai (dpa). Etwa 30 000 bis 40 000 US-Soldaten in Südostasien
waren im Mai 1971 dem Rauschgift Heroin verfallen, einige der Süchtigen
litten bei Erfüllung von Kampfaufträgen wegen Drogenmangel unter Entwöhnungssymptomen.
Das geht aus einem am Dienstag in Washington veröffentlichen Kongreßbericht
hervor, der von einer Kommission des Repräsentantenhauses nach einer Reise
durch neun asiatische Länder zusammengestellt worden ist. Bei ihren Untersuchungen
über den Umfang des Heroin-Schwarzmarktes stellte die Kommission fest,
daß höchste Militärs und Regierungsbeamte in Laos und Südvietnam - einschließlich
des Chefs des laotischen Generalstabes - in den Heroinschmuggel nach Vietnam
verwickelt sind. Mit Heroin werden
dem Untersuchungsbericht zufolge auch die südvietnamesischen Streitkräfte
versorgt. Bei südvietnamesischen Soldaten seien ebenfalls Entziehungssymptome
aufgetreten, wenn die Einheiten plötzlich verlegt wurden. Als Beispiel
führten die Kommissionsmitglieder die Südvietnamesische Invasion narh
Laos an. Die Einheiten seien so schnell umgruppiert worden, daß es unmöglich
gewesen sei, genügend Heroin zu beschaffen. Allein in Vietnam
nehmen 10 bis 15 Prozent der amerikanischen Soldaten Heroin. (FR v. 26. 5. 1971) |
M 17 Woher die Unmengen von Haschisch kommen, die in der BRD geraucht werden, darüber
stellt nebenstehender Teil eines Artikels Vermutungen an. (Überaus aufschlußreich
bezüglich der Herkunft, des Transportweges und der Transportmittel sind
auch folgende Veröffentlichungen: FAZ v. 7. 8.1971: Harry Hamm, Das Heroin-Geschäft
blüht [Demoralisierung der amerikanischen Armee durch Rauschgifte; Herkunft
von Opium und Heroin aus dem Grenzgebiet von Burma, Thailand und Laos;
Transport auf dem Landweg nach Vietnam; innenpolitische Auswirkungen des
Handels in Vietnam durch unterschiedliche Interessen der USA und verschiedener
Gruppen der Möchtegern-Kompradoren.]; FR v. 19. 10. 1971: Werner Holzer,
Wer Drogen nimmt, darf nicht nach Hause [Unzureichende klinische Versorgung
der Süchtigen in Vietnam, überreichliche und leichte Versorgung mit Heroin
sogar innerhalb der Stützpunkte; die Militärführung sieht die Rauschgiftsucht
als aus dem Zivilleben eingeschleppt an.]; FR v. 30. 10.
1971:
Christian Roll,
Rauschgifthandel mit prominenter Beteiligung [Hongkong ist das Zentrum
des Heroin- und Opiumhandels; Herkunft: wie oben bei Hamm; »Die laotisch-amerikanische
Zusammenarbeit beruht weitgehend auf dem Opium-Geschäft. (...)... und
mit Maschinen der von der CIA gecharterten ›Air America‹ wird das Rauschgift
. . ., manchmal direkt in die amerikanischen Militärbasen in Südvietnam
(geflogen).«] Mögen sich diese Berichte auch in Details widersprechen,
so können sie doch nur Frank Werners Vermutung bestärken. An dieser Stelle
könnte man auch versuchen - es kann hier nur erwähnt werden -, die ebenfalls
in der Auseinandersetzung um die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere
und in diesen selbst deutlich werdenden Interessengegensätze auf die zugrunde
liegenden Ursachen zurückzuführen.) Ein Interessengegensatz
zwischen Mafia und CIA auf der einen und den Herrschenden in der BRD auf
der anderen Seite besteht erst, wenn es um die Versorgung etwa Heroinsüchtiger
geht. Haschisch aber wirkt sich nicht negativ auf eine Kampfmoral aus,
jedenfalls nicht auf die die herrschenden Verhältnisse stützende. Damit
können nur Aggressionen, die potentiell gegen die Herrschenden gerichtet
sind, neutralisiert werden. Außerdem lassen sich nicht nur Hasch, sondern
auch alle mit ihm zusammenhängenden »Accessoires« wie Kochbücher, Pfeifen
u. ä. und die passende Musik auf Schallplatten gewinnbringend vermarkten.
(>Werbung, Bd. I, S. 112; Musik, Bd. I, S. 56) |
M 17 (...) Selbst jene
mystisch überhöhte Drogenabhängigkeit blieb nicht vom Profitdenken cleverer,
freilich noch etwas skrupelloserer, Manager verschont. Nicht der von einer
Orient-Trampfahrt heimkehrende Student mit seinem 500-Gramm-Haschisch-Souvenir
vermag die derzeitige Nachfrage zu befriedigen. Für einen fast reibungslosen,
straff durchorganisierten Nachschub sorgen längst die Profis in diesem
Geschäft, Mafia oder Cosa Nostra. Der größte Teil
des in Deutschland zum Verkauf kommenden »Stoffes« ist mit Opium versetzt,
eine steigende Drogenabhängigkeit wird als umsatzfördernd bewußt in Kauf
genommen. Nichts kennzeichnet die tragische Situation besser als das nichtverstummende
Gerücht, der CIA selbst sei am florierenden Rauschgiftmarkt interessiert,
um den politischen Schwung der Jugend in Halluzinogenen zu ersticken.
Ein Konsumverhalten also auch hier, zu dessen, neben vielen
namenlosen, Opfern auch Janis Joplin oder Jimi
Hendrix gerechnet werden müssen. Ihr Tod wurde charismatisch verklärt
und glorifiziert. Natürlich verkaufen sich die Platten verstorbener Idole
eine Zeitlang noch recht gut. Man hat das bereits mit Buddy Holly und
Jim Reeves geprobt.
(. .) (Frank Werner,
»Niemand kratze am heiligen Bild der Idole! Die Diktatur des Desiderats«,
in FR v. 3. 4. 1971) |
M 18 Das Interesse der Bundeswehrführung und des Wehrbeauftragten für das Phänomen
Haschisch in der Bundeswehr läßt sich nur durch starken Druck konservativer
Teile der herrschenden Klasse, die die »Zeichen der Zeit« noch nicht erkannt
haben, erklären. Dementsprechend schwach war die Reaktion des Wehrbeauftragten.
Eine gewisse Rechtfertigung bieten noch einige Unfälle unter Haschischeinfluß,
vergleicht man jedoch die Zahl der Verkehrsunfälle wegen Alkoholgenusses
mit der wegen anderer Rauschmittel, dürfte die Bedeutung des Haschischproblems
auch für die Bundeswehr genügend relativiert werden. (Wenn auch eine Befehlsverweigerung
und ein tödlicher Unfall auf Haschisch zurückzuführen sein sollen, so
dürfte doch die »positive« Seite des Rauschmittelkonsums - ob nun Haschisch
oder Alkohol - überwiegen: Aggressionen werden neutralisiert.) |
M 18 (...) Durch
Meldungen über besondere Vorkommnisse, Presseberichte, Strafverfahren,
Disziplinarstrafen und parlamentarische Anfragen im Bundestag wurde die
Zunahme des Rausdimittelgenusses unter den Soldaten offenkundig. ... der Bundesminister der Verteidigung (war) der
Ansicht, daß der Rauschmittelmißbrauch in der Bundeswehr kein spezifisches
Problem der Streitkräfte und im übrigen die Situation in der Truppe nicht
besorgniserregend sei. (. . .) (Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages, in: Das Parlament, Nr. 18/197I, S. 11 ) |
Die Zusammenhänge zwischen dem, was sich in Vietnam und zur gleichen Zeit
in den schwarzen Gettos ereignet, vergrößern die Zahl der Aggressionsabfuhrmöglichkeiten
für US-Soldaten. Zu der Aggression gegen in der gleichen Lage Befindliche,
veranlatßt oft durch Rassendiskriminierungen, der spontanen, unreflektierten,
individuellen Aggression gegen unmittelbare Vorgesetzte, oder (Siehe auch:
Eldridge Cleaver, The Black Man's Stake in Vietnam, in: Ders., Soul on
Ice, New York 1968 - deutsch: Seele auf Eis, München 1970, dtv 710. In
diesem Aufsatz wird detailliert der Zusammenhang zwischen dem Indochina-Krieg
und der Situation der Afroamerikaner in den USA dargelegt. - Zum Einsatz
der Nationalgarde und der Armee bei den Gettoaufständen im Sommer 1967
auch: Report of the National Advisory Commission on Civil Disorders, New
York 1968, Bantam Book QZ 4273, bes. S. 35 ff., 299 ff., 496 ff., 506
ff.) |
(... ) Immer wieder hört man Reporterberichte aus Vietnam
über Bemerkungen schwarzer Soldaten, wie: »Jeden Morgen lese ich, was
sich bei mir zu Hause abspielt, und daß man Schwarze verfolgt und niederschießt.
Und für dieses Amerika soll ich hier kämpfen? Ich denke gar nicht daran.«
Daß die »Schwarzen Panther« und andere radikale Organisationen, wie etwa
die »Jungen
Lords« der Puertorikaner, offene und von oben herab meist stillschweigend
geduldete Propaganda unter den farbigen Truppen in Vietnam betreiben,
versteht sich von selbst. (... ) (Heinz Pol,
Viele ziehen die Uniform gar nicht mehr an - Amerikanische Soldaten in
Vietnam zerstören die Moral einer ganzen Armee, in: FR v. 5. 12. 1970) |
M 20 (Eldridge Cleaver, Soul on Ice, New York 1968 [Delta Book Nr. 8163], S. 131 f.; deutsch: Seele auf Eis, München 1970, dtv 710) |
|
M 21 / M 22 Von ihren persönlichen Problemen ausgehend beschäftigen sie sich zunächst
genauer mit ihrer Situation innerhalb der Armee. Dabei wird offensichtlich,
daß Afroamerikaner in den höheren Rängen unterrepräsentiert sind und bleiben
werden, während doch ihr Anteil an den Toten und Verwundeten des Vietnamkriegs
überproportional hoch ist. Das Phänomen,
daß dennoch der Prozentsatz derer, die sidi ein weiteres oder drittes
Mal für zwei oder mehr Jahre verpflichten, bei den Schwarzen dreimal so
groß ist wie bei den übrigen GIs, wird durdi die wirtschaftlichen Verhältnisse,
denen nicht nur Vietnam-Heimkehrer, sondern alle aus der Armee Entlassenen gegenüberstehen, hinreichend erklärt. Die Armee, die schon bisher für anpassungswillige Schwarze größere Chancen
für eine Karriere bot, als irgendein ziviler Sektor, wird für alle Afroamerikaner
mehr und mehr zur einzigen Möglichkeit, einen passablen Lebensstandard
zu erreichen. Diese Perspektive, nämlich die »freie Wahl« zwischen Elend
im Getto (Familie/Schule) und direkter Unterdrückung und Lebensgefahr
im Militär, veranlaßt viele GIs, sich mit diesen gesellschaftlichen Phänomenen
und dem historischen Prozeß, dessen Ergebnis sie sind, zu beschäftigen. |
M 21 In March, 1968, 312,000 or 9 % of the men serving in the Armed Forces were
Negro. Negroes represented 2 % of all officers. In September, Frederick
E. Davison was made a Brigadier General in the Army. He was the third
Negro to be made a general in the Armed Forces. According to
Pentagon figures, Negroes made up 9.8 % of the servicemen in Vietnam,
20 % of combat troops, 25 % of elite units such as paratroopers, and 14.1
% of those killed in action. The number of Negroes on draft boards
... still constitute(s) less than 5 % of the total members. (... ) There were 22 Negroes in the US Military
Academy, 15 Negroes in the US Naval Academy, and 6 Negroes in the US Air
Force Academy. The reenlistment rate of Negroes in the Army was three times that of whites.
(Peter M. Bergmann, The Chronological History of the Negro, New York 1969,
S. 613) |
M 22 1962: Percentages of Negroes as officers and enlisted men for each military
service were: Army: officers, 3.2 %, enlisted men, 12.2 %. Air Force:
officers, 1.2 %, enlisted personnel, 9.2 %. Navy: officers, 0.3 %, enlistet personnel,
5.2 %, Marines: officers, 0.2 %, enlisted personnel, 7.6 °/o. (Peter M. Bergmann, a. a. O., S. 576.) |
|
M 23 Wenn die Schlacht in Vietnam beendet ist, beginnt zu Hause ein neuer Kampf
in Zivil. Amerikas jüngste Veteranen werden nicht wie einst ihre Vorgänger
in zwei Weltkriegen mit Pauken und Trompeten vom Heimatland begrüßt. Sie
werden mit einer Situation konfrontiert, die für sie ernüchternd und bitter
ist. Denn die US-Nation, von Inflation und Kriegsausgaben geplagt, hat
ihren Kriegshelden nicht mehr zu bieten als denen, die zu Hause geblieben
waren: einen angespannten Arbeitsmarkt, der in manchen Gegenden der USA
oft gar keine Chancen zu bieten vermag. Derzeit liegt die Arbeitslosenrate
für Zivilisten bei 5,8 Prozent. Von den heimgekehrten Vietnam-Soldaten
sind hingegen 9,4 Prozent ohne Arbeit. (... ) Früher war das
anders. Nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, auch nach Korea, wurde
der amerikanische Vaterlandsverteidiger bevorzugt ins Arbeitsleben wieder
eingegliedert. Doch heute sind die Vorurteile gegen ihn groß. Dieser Krieg
ist unpopulär. Und unpopulär ist auch der GI, der ihn führt. Vorfälle
wie das Massaker von My Lai haben der Soldatenehre Abbruch getan. Man
liest von der weitverbreiteten Rauschgiftsucht im Feld. Schließlich: das
Heer der zwischen eineinhalb und zwei Millionen Veteranen besteht zum
Großteil aus ungelernten Arbeitskräften. Denn viele von ihnen sind gleich
nach der Schule in den Krieg gezogen. Viele haben nie einen richtigen
Beruf ausgeübt. (... ) Zwar hat Präsident
Nixon im vergangenen Jahr zu einer Kampagne - »Jobs für die Veteranen«
- aufgerufen. Doch das Ergebnis ist mager. Ein Beispiel: In Kalifornien
wurden 800 Geschäftsleute, Bürgermeister, führende Angestellte von Städten
zu einem Seminar eingeladen, das die Arbeitsnöte der Veteranen diskutieren
sollte. Nur zwei potentielle Arbeitgeber kamen, nur drei ließen sich aus
Zeitgründen entschuldigen. (... ) »Sie fürchten,
Rauschgiftsüchtige in ihre Betriebe einzuführen«, erklärte ein Angestellter
im New Yorker Arbeitsvermittlungsbüro die negative Haltung von Arbeitgebern
den Veteranen aus Indochina gegenüber. Staatliche und städtische Sie haben noch
einen großen Nachteil: Sie sind noch so jung, oft viel zu jung. Früher
gingen viele Veteranen an die Universitäten zurück. Der Staat half dabei.
Der Staat hilft immer noch, doch mit wesentlich weniger Mitteln (... ) Manche Studenten
haben auch Angst, nach der »Institution der Armee« in die »Institution
der Universität« zu geraten. (... ) Die Zahl der arbeitslosen schwarzen
Veteranen ist doppelt so groß wie die Zahl der arbeitslosen weißen Veteranen.
(... ) ... ohne Hoffnung schließen manche sich anarchistischen Gruppen
an - oder sie werden aktive Kriegsgegner. Der massive Gesinnungswandel
wird in Kürze deutlich zu sehen sein: Einige tausend »Vietnamveteranen
gegen den Krieg« haben für Mitte April ihre Teilnahme bei einem Marsch
nach Washington angekündigt. (Monika Metzner,
Keine Chancen für Vietnam-Heimkehrer, in: FR v. 11. 4. 1971) |
|
M 24 Das kann zu folgenden Erkenntnissen
führen: 1. Wie das Reservoir an afroamerikanischen Menschen genutzt wurde, war stets
bestimmt von zwei konfligierenden Gesichtspunkten: a) Um gegen den Feind
bestehen zu können oder um Lücken in den eigenen Reihen aufzufüllen, war
es nötig, Schwarze in die Armee aufzunehmen. b) Es bestand die Gefahr,
daß die Afroamerikaner sich nicht mehr wie bisher unterdrücken ließen,
wenn sie ihre »patriotische Pflicht« erfüllt und sich »bewährt« hatten,
und wenn sie, sich dessen bewußt, daraufhin die Ideale, für die sie -
angeblich - gekämpft hatten, auch auf sich selbst angewandt wissen wollten.
Zudem war es nicht auszuschließen, daß die Afroamerikaner die während
ihrer Militärzeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Gewaltanwendung
im Kampf für ihre Rechte nutzen würden. 2. Daraus ergaben
sich für die »Ausschöpfung« dieses »Reservoirs« folgende Bedingungen:
a) Um zu verhindern, daß es nach Kriegsende zu gewaltsamen Aufständen
der Farbigen kam, wurden diese so lange wie nur irgend möglich in den
Bereichen des Nachschubs oder anderer Dienstleistungen eingesetzt, also
von Kampfhandlungen ferngehalten. Von dieser Regel wurde nur abgewichen,
wenn die Kampftruppen sehr knapp waren oder es wegen sozialpsychologischer
Wirkungen auf die weiße Bevölkerung oder aber auch infolge eines starken
Drucks seitens der schwarzen Mittelschicht geboten war. b) War der militärische
Konflikt beendet, so wurden die schwarzen Soldaten schnellstmöglich entlassen. 3. Dennoch sahen sich die Herrschenden genötigt, nach solchen
Konflikten, in 4. Verbesserungen
der Situation der Schwarzen in der Armee erfolgten nur, um auftauchende
Probleme - vor allem solche der Kampfmoral der Schwarzen - zu lösen, oder
weil solche Reformen zur Rationalisierung und Effektivitätssteigerung
bei der Erfüllung militärischer Aufgaben - z. B. in der Ausbildung von
Rekruten - dienten. Die Aufhebung der Rassentrennung innerhalb der Streitkräfte
in der Form der Bildung gemischter Einheiten hatte zudem den Effekt, daß
die Konzentration Schwarzer in bestimmten Einheiten, die während des besonders
heftigen Kampfes der Bürgerrechtsbewegung in den 50er und 60er Jahren
systemgefährdende Konsequenzen hätte haben können, nicht mehr bestand
als sie den Interessen der Afroamerikaner dienlich gewesen wäre: die Bombe
war entschärft, bevor sich der Sprengsatz ganz seiner Sprengkraft hatte
bewußt werden können. S. Seit Ende
des zweiten Weltkriegs und mehr noch seit dem Koreakrieg wird die Tendenz
deutlich, Afroamerika als Soldaten zu rekrutieren, während sich die soziale
Lage der Afroamerikaner in den USA verschlechtert und der Kampf um die
Bürgerrechte immer heftiger geführt wird. Infolge dieser Rekrutierungsstrategie
vergrößerte sich einerseits die Zahl schwarzer Soldaten, während andererseits
vor allem unter den besser ausgebildeten Schwarzen des Nordens - die im
zweiten Weltkrieg noch auf Bestätigung als Menschen, Bürger und Männer
gedrängt hatten - die Abneigung gegen die Armee und besonders gegen die
Teilnahme am Vietnamkrieg wuchs. Die Unmöglichkeit, Emanzipation durch
Bewährung im Militärdienst zu erreichen, war weithin bewußt geworden.
(Zur Situation der Afroamerikaner in der Armee seit der Kolonialzeit:
Brandes/Burke, a. a. O., bes. S. 13 ff., 38 ff. und 53 ff.; brauchbare
Informationen finden sich auch in den im Anschluß an M 24 angegebenen
Quellen.)
|
M 24 1937 waren 6700
oder 1,8 %der amerikanischen Streitkräfte (Armee und Narionalgarde) schwarz. »Obwohl die Segregation weder in der
Industrie noch im öffentlichen Leben beseitigt war, fiel es der amerikanischen
Bourgeoisie auch dieses Mal wieder leicht, die Schwarzen für ihren Krieg
zu gewinnen. (... ) Der amerikanischen Regierung fiel es trotz ihres Desinteresses
an einer ernsthaften Bekämpfung des Rassismus in den USA leicht, den Rassendchauvinismus
des Gegners für ihre eigenen Ziele auszunutzen. (...) So konnte die US-Regierung
dem schwarzen Amerika einreden, daß das Land nach dem japanischen Überfall
auf Pearl Harbour 1941 in einen Krieg zur Verteidigung der Demokratie
und der Freiheit zog. Daß die Segregation in der Armee, die erst 1948
durch Präsident Truman offiziell aufgehoben wurde, kaum weniger scharf
als im ersten Weltkrieg war, verhinderte nicht die Loyalität der meisten
schwarzen Soldaten.« (Volkhard Brandes und Joyce Burke,
USA - Vom Rassenkampf zum Klassenkampf, München 1970 [dtv report 669],
S. 68 f.) Von den fast
500 000 Afroamerikanern in der Armee wurden weniger als 54 000 in Übersee
eingesetzt. Sie machten jetzt 9,53 % der Armee, aber nur 5,61 % der Truppen
in Übersee aus. Man fürchtete angeblich, sie seien dort unwillkommen,
und die amerikanischen Befehlshaber in Übersee lehnten die Zuteilung
schwarzer Soldaten ab, da sie sie für unzuverlässig hielten. 1943
gab es bereits
700 000 afroamerikanische Soldaten. Als Ende 1944 ein Mangel an Infanteriesoldaten
in Europa bestand, wurde auch auf schwarze Soldaten zurückgegriffen. In
dieser Notsituation wurden die ersten integrierten Einheiten gebildet.
Im Kriegseinsatz gab es keine Rassendiskriminierungen und die 2500 eingesetzten
Schwarzen »bewährten«
sich. »Wiederum zogen schwarze Amerikaner
mit der Hoffnung in den Krieg, nicht nur die Demokratie gegen ein feindliches
Ausland zu verteidigen, sondern endlich im Inneren zu verwirklichen. Aber
auch dieser Krieg löste die sozialen, ökonomischen und politischen Probleme
des schwarzen Amerika nicht. Obwohl sich alle bedeutenderen Organisationen
hinter die Regierung stellten und ihre Anhänger aufforderten, sich für
die Kriegsdauer jeden Protestes zu enthalten, kam es wiederholt zu wilden
Streiks und sozialen Unruhen. 1943 konnte eine Rebellion in Harlem nur
blutig unterdrückt werden. Am Ende des Krieges zeigte sich, daß
es auch dieses Mal keine durchgreifenden Verbesserungen der Lage des Negers
geben würde. Im Süden flammte die Lynchjustiz wieder auf. Im Juli und
August 1946 wurden nicht weniger als sechs Kriegsheimkehrer von weißen
Mobs gelyncht.. (Brandes/Burke, a. a. O., S. 69 f.) Erst 1950 wurde
das Quotensystem, das nur einen dem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechenden
Prozentsatz von Schwarzen in den Streitkräften zuließ, abgeschafft. Man
fing an, die ersten Ausbildungslager zu integrieren, weil man erkannt
hatte, daß dies effektiver war, und auch weil es half, Probleme der Kampfmoral
der Schwarzen zu lösen. Sie konnten nun eine Ausbildung bekommen und in
Tätigkeitsbereichen arbeiten, die ihnen bisher vorenthalten waren. Der Korea-Krieg brachte oft Sofort-Integration,
da Menschenmaterial gebraucht wurde. 19 5 3 gab es fast
keine rein schwarzen Einheiten mehr. Während des
Übergangs gab es keine Schwierigkeiten, die »Effektivität« wurde
erhöht, »Disziplin-Probleme« verringert, die »Moral« verbessert. Prozentual
nahm sowohl die Zahl der schwarzen Soldaten als auch die der schwarzen
Offiziere in allen Waffengattungen zu. Dennoch zeigen diese Prozentzahlen,
wie benachteiligt Schwarze sind, die Offiziere werden wollen. Die Vertretung
der Schwarzen in Militärakademien ist nur symbolisch. Einige Ausbildungslehrgänge
und Einheiten der Nationalgarde sind immer noch unzugänglich für Schwarze. 1962 kümmerte
man sich das erste Mal um die Diskriminierung »off-post«, d. h. in den
Gemeinden um Armee-Stützpunkte in den Südstaaten. Zum Bürgerrechtsgesetz
1964 gab der Verteidigungsminister eine Erklärung ab, aus der deutlich
hervorging, daß sich die Administration der Widersprüche zwischen den
vorgebGchen Aufgaben der Armee, nämlich die amerikanische Demokratie zu
verteidigen, und der Lage der Afroamerikaner in dieser Armee bewußt, und
die Kampfmoral durch entsprechende Reformen zu erhalten bestrebt war.
Das war um so vordringlicher, als - entsprechend der Entwicklung in militärischen
Organisationen, die abhängig von der Weiterentwicklung der Waffentechnologie
ist (vgl. Wido Mosen, Eine Militärsoziologie, Neuwied 1967, bes. S. 23)
- imJahre 1962 im Vergleich zu 1945 von allen weißen Soldaten prozentual
nur noch halb so viele in Kampfeinheiten eingesetzt waren (überproportionale
Vergrößerung der Dienstleistungseinheiten), während von allen afroamerikanisdien
Soldaten 1962 prozentual dreimal so viel als 1945 in Kampfeinheiten waren.
Verglichen mit 1945, hat sich also die Möglichkeit der Schwarzen,
zu kämpfen, im Verhältnis zu den übrigen Soldaten versechsfadit. (Zusammengestellt aus: Brandes/Burke, a. a. O., John P. Davis, The Negro in the Armed Forces of America, in: Ders., [Hrsg.], The American Negro Reference Book, Englewood Cliffs, NJ. 1966; Charles C. Moscos Jr., Racial Integration in the Armed Forces, in: The American Journal of Sociology, 2/1966, S. 132 ff.) |
M
25 / M 26 / M 27 Die schwarzen GIs beginnen, die Konsequenzen zu ziehen. Das nunmehr gerade
zwanzig Jahre alte Experiment mit der Rassenintegration in der Armee scheint
die schon immer befürchteten Folgen, die Verstärkung des Emanzipationskampfes
der Afroamerikaner, zu zeitigen. So waren viele der Afroamerikaner, die
als erste für bewaffnete Selbstverteidigung eintraten, Veteranen des zweiten
Weltkrieges bzw. des Koreakrieges. Die Aggressionen, die bisher gegen
einen äußeren Feind umgelenkt worden waren, richteten sich in mehr und
mehr gegen die Unterdrücker selbst. Die Rassenintegration in der Armee hatte eine weitere Konsequenz: das, was in segregierten Einheiten allein als Rassismus der weißen Vorgesetzten gelten mußte, wird bei Integration als charakteristisch für die spezifische Unterdrückung des Soldaten erfahren. Durch die prinzipiell unterschiedslose Ausübung von Herrschaft in der Armee und unter Berücksichtigung der ähnlichen Situation im Ausbeutungszusammenhang nach der Entlassung aus der Armee (vgl. M 23), kann deutlich werden, daß die Konflikte nicht in erster Linie Rassenkonflikte sind, sondern es sich um Klassenkonflikte handelt - die sich im Interessengegensatz von Offizieren und einfachen Soldaten, besonders den Offizieren und Wehrpflichtigen, reproduzieren. Die Interessenidentität der Soldaten untereinander, die vielleicht auch in der positiveren Einstellung zur Integration bei weißen und schwarzen Soldaten in integrierten Einheiten als bei denen in segregierten Einheiten zum Ausdruck kommt, kann zwar fest verwurzelte Vorurteile nicht beseitigen, wohl aber zumindest deren Intensität und Wirkungen mildern. Trotz der stärkeren Unterdrückung der Afroamerikaner in der Armee und der Vorurteile weißer Soldaten können die Afroamerikaner durch die Einbeziehung ihrer individuellen Erfahrungen in die Beurteilung der sozialgeschichtlichen und -strukturellen Bedingungen ihrer Situation erkennen, daß ihre Emanzipation nicht durch Reformen der Rassenbeziehungen« Die GIs arbeiten
in dem gesellschaftlichen Bereich, in dem sie sich augenblicklich befinden:
in der Armee. Voraussetzung zu grundlegenden Änderungen ist der Aufbau
von Gegenmachtpositionen, die es ihnen ermöglichen, sich besonders auf
die Rückkehr in die USA vorzubereiten. Ausgehend von ihren Erfahrungen
setzen sie an bei den alltäglichen Problemen der Soldaten, die sie im
allgemeinen in den über 60 (davon ca. 12 in der BRD) selbstgedruckten
Zeitungen, deren Publizität schon eine wenn auch kleine Gegenmachtposition
darstellt, aufgreifen und in ihren Bedingungszusammenhang stellen, also
als politische begreifen. Vgl. auch M 13 / M 14 / M 15/ M 39 / M 40. Genauere
Informationen über die Zielvorstellungen von zwei der GI-Zeitungen und
deren Versuche, diese Ziele zu erreichen, sind erhältlich bei: The Next
Step, c/o W. Jakob, 6 Frankfurt, Rohrbachstr. 18, und Voice of the Lumpen,
c/o Black Panther Solidarity Committee, 6 Frankfurt, Jügelstraße.) |
M 25
Man schickt Schwarze nach Vietnam, man schickt Weiße aus der Arbeiterklasse
nach Vietnam und bringt ihnen bei, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und
Gewalttätigkeiten zu begehen. Und wenn sie dann nach Amerika zurückkommen
und sehen, daß es dort nicht stimmt, dann versuchen sie das zu ändern,
mit den Werkzeugen, deren Gebrauch man ihnen beigebracht hat, also mit
Gewalt. (...) Wir haben den
Vorteil, den Feind zu kennen. Wir kennen die militärischen (...) (Claudia Wolff
und Horst Taubmann, Join in the fight - Die schwarzen Soldaten der US-Army
in Westdeutschland. Sendung des Westdeutschen Rundfunks, 3. Programm,
12. 11. 1971, 21.15 - 22 Uhr. Manuskript S. 34 f.) M 26 (...) Der wachsende innere Widerstand, der sich in diesen Blättern (Soldatenzeitungen,
Anm. d. Verf.) dokumentiert, hat die deutschen Gruppen, die schon früher
mit Dissenters in der Armee zusammengearbeitet haben, veranlaßt, ihre
Strategie zu ändern. Ihre Kampagnen zielen nicht mehr auf Desertion. K. D. Wolff, Sprecher des Black-Panther-Solidaritätskomitees in Frankfurt:
»Hilfe für Desertion wird nur noch in Notfällen gegeben, wenn Genossen
schnell nach Vietnam abtransportiert werden sollen oder ähnliches. Wir
sind der Meinung, daß der unzufriedene GI, aber auch der unzufriedene
Soldat in der Bundeswehr, viel mehr an politischer Aufklärung und an Organisierung
leisten kann, wenn er seine Unzufriedenheit seinen Kameraden und Kollegen
mitteilt und vermittelt, anstatt daß er als Unzufriedener, der schon alles
weiß, einfach das Weite sucht. Das ist besonders die beste Taktik in einer
Situation, wo ja in der Bundesrepublik keine direkte Gefahr für Leib und
Leben gewöhnlich besteht. (Wolff/Taubmann, a. a. O., S. 30 f.) M 27 (...) Eines der wichtigsten
GI-Blätter in Deutschland, THE NEXT STEP, wird in Frankfurt von einer
Gruppe weißer und schwarzer GIs und Zivilamerikaner gemacht und an mehreren
Stationierungsorten in der Bundesrepublik verteilt. THE NEXT STEP - die
erste Nummer erschien zur Heidelberger Rally am 4. Juli - versucht, ein
Verbindungsorgan zwischen den verschiedenen Oppositionsgruppen in Deutschland
zu werden und deren Protest, wo er nur punktuell scheint, durch historische,
soziologische und ökonomische Analysen der heutigen Situation in Amerika
zu fundieren und ihm eine sozialistische Perspektive zu geben. Zitat aus dem Next-Step Editorial »Where
we stand«: Die Probleme Amerikas werden nicht zu lösen sein, bevor nicht
der herrschenden Minderheit die Verfügung über die Produktivkräfte entrissen
und diese Verfügungsgewalt in die Hände des arbeitenden Volkes gelegt
wird. Wir glauben, daß das wirkliche Problem dieser Armee nicht darin
liegt, daß es in ihr Rassismus gibt oder Schikanen oder diese oder jene
Ungerechtigkeit - diese Armee ist ein Problem, weil sie gegen dieLebensinteressen
der Menschen eingesetzt wird, die gezwungen sind, in ihr zu dienen. Nur
der kollektive Kampf der amerikanischen Arbeiter, der Schwarzen und Weißen,
kann erreichen, daß diese Armee aus allen Ländern der Welt abgezogen wird,
daß ihre jetzige Führung abgesetzt wird und daß ihre Waffen in den Dienst
einer einigen Arbeiterklasse gestellt werden mit dem Ziel, den heute Herrschenden
die Herrschaft über diese Gesellschaft zu entreißen. (Wolff/Taubmann,
a. a. O., S. 29 f.) |
M 28 Die Treffen
von schwarzen und auch weißen GIs dienen dazu, der Bewegung und ihren
Zielen eine größere Publizität zu verschaffen und bei weiteren GIs Interesse
und Engagement zu wecken. |
M
28 (Forderungen
einer Rally von 800 schwarzen GIs aus verschiedenen Stationierungsorten
am 4. 7. 1970 in Heidelberg. Anm. d. Verf.): Sofortige Untersuchung
der Zustände im Mannheimer Militärgefängnis, das zeitweise mit 6o bis
80 % Schwarzen und Puertorikanern belegt ist (vgl. M 12) - obwohl die
Schwarzen nur mit 12 % in den USAREUR1-Truppen vertreten sind
- Abschaffung der notorischen Diskriminierung der Schwarzen bei Beförderungen
- mehr sogenannte zivile Stellen für Schwarze - College-Vorbereitungskurse
für GIs, die nach Amerika zurückgehen - angemessene Wohnmöglichkeiten
auch für verheiratete schwarze Soldaten - und so weiter. Was die Heidelberger
Rally zu einer politischen Veranstaltung gemacht hatte, wurde in Overseas
Weekly2 nicht mitgeteilt: Die Forderung nämlich nach sofortigem
Abzug aller amerikanischen Truppen aus Südostasien, nach Rückzug aller
amerikanischen Kapitalinteressen aus afrikanischen Ländern. Der Oberkommandierende
der NATO-Heeresgruppe Europa Mitte, General James H. Polk, wurde mehrfach
gebeten, sich der Heidelberger Versammlung zu stellen. Er antwortete damit,
daß er seine Maßnahmen traf. (. . .) {Wolff/Taubmann, a. a. O., S. 12 f.;
Anmerkungen: 1: United States Army Europe. 2: Eine in Deutschland erscheinende
Wochenzeitung für Amerikaner) |
M 29 / M 30 / M 31 / M 32 Die militärische
Führung reagiert auf diese politischen Aktivitäten nicht nur durch Bereitstellen
von Militärpolizei. Die direkte Drohung mit brutaler Unterdrückung kann
nur kurzfristig wirken; sie muß ergänzt werden durch langfristige systemstabilisierende
Reformprojekte, die das »Rassenproblem« |
M 29 (...) Heidelberger
UBS-Leute berichten: »Am 4. Juli waren wir in der Stadt, in der Heidelberger
Universität zu unserer Rally, und die Heidelberger Universität ist eine
weltberühmte Universität, und unsere Rally, es waren fast 1000 GIs gekommen,
war eine gewaltlose, ganz friedliche Versammlung. Und da hatten sie »Und nicht
nur das: sie hatten auch außerhalb von Heidelberg Abteilungen zusammengezogen,
weil sie dachten, es käme zu gewaltsamen Aktionen. So hysterisch reagieren
die Pigs auf alles, was die Schwarzen unternehmen.« (Wolff/Taubmann, a.
a. O., S. 13 f.) |
M 30 Rassenkonflikte unter amerikanischen
Soldaten in Europa Nixon schickt
Untersuchungskommission auch in die Bundesrepublik/Ku-KluxKlan und Black
Panthers rmc. FRANKFURT,
6. September. Präsident Nixon schickt in diesem Monat eine Untersuchungskommission
zu den in Europa stationierten amerikanischen Streitkräften. Ihre Aufgabe
wird es sein, die zunehmend zwischen weißen und dunkelhäutigen Soldaten
auftretenden Rassenspannungen zu studieren. Nach Aufenthalten in amerikanischen
Truppenunterkünften in Großbritannien, Spanien und Italien wird die Gruppe
aus dem Weißen Haus Einrichtungen der amerikanischen Armee in der Bundesrepublik
besuchen. (... ) Als Ergebnis
der Untersuchung erwartet Nixon einen umfassenden Bericht und Vorschläge,
wie der wachsenden Konfrontation zwischen den Rassen begegnet werden kann,
die indessen ihren Ursprung kaum in der spezifischen Atmosphäre militärischer
Verhältnisse, sondern vielmehr im gesellschaftlichen Konflikt in den Vereinigten
Staaten überhaupt haben. Nach Washington sind jedoch nicht nur Berichte
über Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Armeeangehörigen der beiden
Rassen gelangt, es soll in amerikanischen Truppenteilen auch Konflikte
zwischen organisierten Gruppen geben. Besonders erwähnt wurden vom Weißen
Haus Unternehmungen des »Ku-Klux-Klan« und der »Black Panther«. Auf diese
Aktivitäten soll die Kommission besonders achten und herausfinden, ob
diese radikalen Gruppen einflußreich sind und weiter wachsen. Berichten
aus Washington zufolge hat die Negerorganisation der »Black Panther« in
Paris ihr europäisches Hauptquartier. Obwohl die Vereinigten Staaten in
Frankreich keine Militärstützpunkte mehr besitzen, vermutet man im Weißen
Haus trotzdem einen starken Einfluß von Paris aus auf amerikanische Einheiten
in den anderen europäischen Ländern. Die aus zwei
Farbigen und zwei Weißen bestehende Kommission soll weiße und farbige
Soldaten einzeln und in Gruppen befragen. Dabei sollen Offiziere, besonders
direkte Vorgesetzte, nicht anwesend sein. Ihre Untersuchungen will die
Regierungskommission nicht auf Fragen des Zusammenlebens in den Kasernen
beschränken; sie will sich auch nach den Schwierigkeiten erkundigen, die
sich aus (FAZ v. 7. 9. 1970) (Eine Zusammenfassung
des Berichtes dieser Kommission wurde in der FR vom 8. 2. 1971 auf Seite
16 unter dem Titel »Entfremdung und Rebellion: Farbige in der US-Armee«
abgedruckt.) |
|
M 31 Rassendiskriminierung in Deutschland Beschwerde farbiger amerikanischer
Soldaten über Vermieter. WASHINGTON, 23. April (AP). 25 000 farbige GIs der amerikanischen Stationierungstruppen
in der Bundesrepublik fühlen sich durch deutsche Hausbesitzer und Vermieter
aufs äußerste diskriminiert, weil ihnen bei der Wohnungssuche außerhalb
des Kasernengeländes die kalte Schulter gezeigt wird. Die Nationale Vereinigung
zur Förderung farbiger Amerikaner (NAACP) in Washington hat am Freitag
nach Rücksprache mit Verteidigungsminister Laird die amerikanische Regierung
aufgefordert, die Diskriminierung der farbigen amerikanischen Soldaten
bei der Bundesregierung zur Sprache zu bringen. (... ) In einem 55 Seiten langen,
auf wochenlangen Befragungen farbiger amerikanischer Soldaten in der Bundesrepublik
fußenden Bericht heißt es, die Betroffenen betrachteten Deutschland als
ein unfreundliches Land und fragten sich, warum sie in der Bundesrepublik
stünden. Es gebe zwar auch in der Militärgerichtsbarkeit und in der amerikanischen
Armee und Luftwaffe Probleme der Diskriminierung Farbiger, aber die Frage
der Wohnraumbeschaffung in der Bundesrepublik sei wohl die schwerwiegendste,
die einer dringenden Lösung bedürfe, weil sie von den farbigen Amerikanern
als Konfrontation empfunden werde. Nur wenn die Regierung in Washington
sich der Angelegenheit annehme und sie im Sinn einer Beseitigung der Diskriminierung
löse, könne der Glaube der Farbigen in die Gerechtigkeit des »american
way of life« wiederhergestellt werden. Auf Grund der
amtlichen Untersuchung der Beschwerden farbiger GIs hatte das Pentagon
die Truppenkommandeure ermächtigt, Häuser deutscher Vermieter und Hausbesitzer,
die Farbige diskriminieren, zu boykottieren. Da sich die Situation seither
eher verschlechtert als gebessert habe, unternahm die Schutzorganisation
der farbigen Amerikaner jetzt ihren Vorstoß. (FAZ v. 24. 4. 1971) |
|
M 32 Unter der paternalistischen
Kontrolle der »liberalen weißen Freunde« begann die NAACP den Kampf um
Bürgerrechte. Sie übernahm die Verteidigung schwarzer Angeklagter vor
rassistischen weißen Gerichtshöfen, brachte verschiedene Fälle sogar vor
das Oberste Bundesgericht, betrieb intensive Aufklärung über Rassendiskriminierung und Lynchjustiz und führte den Kampf um das Wahlrecht
für Neger. Sie galt als radikal und extrem. Aber als der schwarze Widerstand
fünfzig Jahre später an Entschlossenheit zunahm, stand die NAACP mit ihren
Aktivitäten am konservativen Flügel der Bürgerrechtsbewegung - ein Zeichen,
wie sehr sich die Lage zugunsten des schwarzen Amerika zu verschieben
begann. (. . .) ... Abhängigkeit von weißen Geldquellen und ihrer Vorstellung,
Arbeiter und Kapitalisten ungeachtet der zwischen ihnen bestehenden Klassenunterschiede
zusammenbringen zu können. Wie die NAACP war die »Urban League« eine Organisation der schwarzen Mittelklasse, deren ökonomische und soziale
Interessen sie reflektierte. |
|
M 33 Seit die »Rassenprobleme«
nicht mehr nach dem Motto »divide et impera« ausgenutzt werden können
und die Betroffenen drohen, deren tatsächliche soziale Ursachen zu beseitigen,
entwickeln Regierung und NAACP ein außerordentlich eifriges Interesse
an ihnen. Was Sam Barry
von UBS (Unsatisfied Black Soldiers) Heidelberg über die Regierungskommission
sagt, gilt auch für die Kommission der NAACP, deren Zielsetzung (s. M
31) eindeutig belegt, wessen Interessen sie dient. |
M33 (... ) Sam
Berry (... ) Wir sagen, eine Untersuchungskommission wie diese ist eine
Farce, nichts als ein Ablenkungsmanöver Nixons gegenüber der Öffentlichkeit.
Wir sagen, daß bei diesen Untersuchungskommissionen niemals etwas herauskommt,
bei diesen Seminaren und Studiengruppen, diesen human-human-relations-Sitzungen,
dieser Tag-der-offenen-Tür-Masche - wir sagen, da kommt nie etwas dabei
heraus, weil sie nie zum Kern der Sache vorstoßen... (Wolff/Taubmann, a. a. O., S. 18) |
M
34 / M 35 / M 36 Diese nunmehr
eingeleiteten Reformen sind nicht geeignet, die Ursachen der »Spannungen«
zu beseitigen. Es wird an völlig von ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen
losgelösten Symptomen herumgebastelt (s. M 23) oder man versucht - etwa
durch Solderhöhungen oder das Aufstellen von Bierautomaten in den Kasernen,
in denen bisher jeder Alkoholkonsum verboten war (Vgl. Heinz Pol, Erstklassige
Soldaten sind sie nicht mehr, in: FR v. 22. 9.. 1971) - den
Soldaten die Möglichkeit zu geben, die erlittenen Frustrationen auf »konventionelle«
Weise (ohne Gefährdung der Reformkonzeptionen, die Position der »Reformer«
vielmehr stärkend) zu kompensieren: durch »Saufen« und erhöhte Konsumchancen
( Werbung, Bd. I, S. 108 f.). |
M 34 Repräsentantenhaus bewilligt Solderhöhung WASHINGTON,
2. April (UPI). Das amerikanische Repräsentantenhaus hat die bisher größte
Solderhöhung für die Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte als Vorstufe
zu einer Freiwilligenarmee beschlossen. Es bewilligte 2,7 Milliarden Dollar
im Jahr und gesteht damit den Soldaten dreimal mehr zu, als Präsident
Nixon beantragt hatte. Das Gesetz verlängerte die Wehrpflicht bis Mitte
1973. (FAZ v. 3. 4. 1971) |
M 35 Rassenkurse für US-Soldaten WASHINGTON,
2. April (UPI). Das amerikanische Repräsentantenhaus hat in
Washington für die Angehörigen der US-Streitkräfte die obligatorische
Teilnahme an einem Kurs über Beziehungen zwischen den Rassen angekündigt.
Die Belehrung, für die zunächst sechs Stunden vorgesehen sind, soll im
Sommer in allen amerikanischen Militäreinrichtungen beginnen. Sie ist
Pflicht für alle Soldaten, vom Schützen bis zum General, sowie für ihre
Frauen. Einem Sprecher des US-Verteidigungsministeriums zufolge ist das
Ziel des Kurses der Abbau der wachsenden Rassenspannungen in den Streitkräften.
Sein Hauptthema wird die |
|
M 36 Vietnam - Veteranen sollen Arbeit bekommen WASHINGTON,
20. Juni (UPI). Präsident Nixon hat Arbeitsminister Hodgson angewiesen,
umgehend Maßnahmen zur Arbeitsvermittlung für beschäftigungslose ehemalige
Soldaten des Vietnam-Krieges zu treffen. In einem Schreiben an den Minister
führte Nison aus, dieser Aufgabe komme »höchste Priorität« zu. Die Regierungsdienststellen
wurden angewiesen, dieses Arbeitskräftereservoir bevorzugt auszuschöpfen.
Aus Regierungskreisen in Washington verlautete, von den Vietnam-Veteranen
zwischen 20 und 29 Jahren seien 10,9 Prozent unbeschäftigt. Die Zahl der
unbeschäftigten Kriegsveteranen wurde mit 370 000 angegeben. |
|
M 37 / M 38 In den Verlautbarungen
der beiden Kommissionen kommt zum Ausdruck, daß die Diskriminierung von
amerikanischen Soldaten, besonders der schwarzen, seitens der deutschen
Bevölkerung eine große Rolle spielt. Am deutlichsten wird das durch die
Schwierigkeit, genügend Wohnraum zu beschaffen. Diese Diskriminierung
verstärkt Unzufriedenheit und Aggressionsbereitschaft - und damit die
Möglichkeit der Politisierung - der Soldaten. (Vgl. Schwarze Soldaten
dringen auf Abzug, in: FAZ v. 13. 8. 1971.) Für die Reformer ergibt sich
deshalb die Notwendigkeit, besonders bei den Schwarzen den Glauben »in
die Gerechtigkeit des ›american
way of life‹«, in die Berechtigung ihrer Mission in Europa wiederherzustellen
(Vgl. M 31). Bisher wird auf das Problem in zwei Richtungen reagiert:
einmal direkt durch, allerdings nur beschränkt wirksamen, Boykott; zum
anderen durch Einflußnahme auf die Regierung der Bundesrepublik. Auch den Schülern
muß der Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Bevölkerung
und der Behauptung des deutschen Verteidigungsministeriums, das nur die
seit Jahrzehnten vertretene offizielle Meinung wiedergibt, auffallen.
Der Wille der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung wird als Legitimation
für die Anwesenheit der ausländischen Truppen aufgeführt. Wie kann dann
aber die Beschaffung von Wohnraum so problematisch werden? Die Ursachen
der den herrschenden Interessen zum Teil widersprechenden Vorurteilen
der Bevölkerung gegen Amerikaner sollen, wie schon zu Beginn erwähnt,
weiter unten |
M 37 Gegen Diskriminierung farbiger Soldaten gn. HAMBURG,
13. Juni. Verteidigungsminister Schmidt hat an Gemeinde- und Stadträte,
Mitglieder der Kreisräte, Bürgermeister und Landräte appelliert, der Lage
der farbigen Soldaten in Streitkräften der Alliierten in Deutschland besondere
Achtung zu schenken und nicht den Eindruck entstehen zu lassen, die Deutschen
leisteten der Rassendiskriminierung Vorschub. Die amerikanische Vereinigung
für die Förderung Farbiger, eine gemäßigte Organisation, hatte vor einiger
Zeit beobachtet, daß in einigen Standorten amerikanischer Truppen Vermieter
von Wohnungen und Gastwirte farbige Soldaten und ihre Angehörigen diskriminiert
hätten. Schmidt erklärte dazu in Hamburg, die Bundesregierung habe keine
rechtliche Möglichkeit das Verhalten deutscher Wohnungsvermieter gegenüber
Farbigen zu beeinflussen. Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung
wünsche aber die Anwesenheit ausreichender amerikanischer Streitkräfte
in der Bundesrepublik. (FAZ v. 14. 6. 1971) |
M 38 US-Regierung will Farbigen helfen WASHINGTON,
8. September (AP). In gleichlautenden Rundschreiben haben das Verteidigungs-
und das Außenministerium der USA die amerikanischen Diplomaten und Militärkommandeure
in Übersee aufgefordert, energischere Schritte zur
Bekämpfung der sich gegen Farbige richtenden Rassendiskriminierung zu
unternehmen. ... die Botschafter
(sollten sich) mit den betreffenden Regierungen ins Benehmen setzen und
darauf hinwirken . . ., daß die farbigen Soldaten von der Bevölkerung
der einzelnen Länder besser behandelt würden. Beamte des Pentagon erklärten,
Verteidigungsminister Laird habe dieses Thema bereits mit Bundesverteidigungsminister
Helmut Schmidt und den japanischen Behörden besprochen. (FR v. 9. 9. 1971) |
|
M 39 / M 40 Die Interessen
der BRD, die Bundesinnenminister Genscher wahrzunehmen vorgibt, sind identisch
mit den Interessen der Kommissionen: die sich marxistisch-leninistisch
verstehende Black Panther Party, deren erklärtes Ziel es ist, das Gesellschaftssystem
der USA umzustürzen - gemäß dem Verfassungsauftrag dieses Staates - und
die zu diesem Zweck politische Aufklärungsarbeit (nicht nur) unter den
GIs auch hier in der Bundesrepublik betreiben will, berührt mit diesem
Ziel auch die Interessen der Herrschenden in Westdeutschland, was das
Hand-in-Hand-Arbeiten der amerikanischen und der deutschen Regierung und
Polizei klar demonstriert. (Siehe auch M 1; > Musik, Bd. I, S. 28) Diese Interessenidentität
drückt sich auch in der NATO-Mitgliedschaft beider Staaten aus, in den
Devisenausgleichszahlungen für die Stationierung der Truppen in der BRD,
durch die der Krieg in Indochina von der Bundesregierung mitfinanziert
wird. (Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an das noch immer bestehende
Einreiseverbot für Vertreter der FNL Südvietnams in die BRD.) Die enge
Verflechtung der Interessen des Kapitals in den USA und in der BRD ist
sowohl Ausdruck als auch Folge der Geschichte des »Wiederaufbaus«
Westdeutschlands zur »Bastion des christlichen Abendlandes«,
der »abendländischen Kultur« nach 1945, der maßgeblich bestimmt
worden ist von den Interessen des US-amerikanischen militärisch-industriellen
Komplexes. (Zur Funktion der US-Armee bei der Restauration des Kapitalismus
in Westdeutschland siehe: Eberhard Schmidt, Die verhinderte Neuordnung,
Frankfurt 1970 [Europäische Verlagsanstalt]. Zur Struktur und Funktion
der NATO siehe: Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus,
Frankfurt 19705 [Europäische Verlagsanstalt], bes. S. 135 ff....
Zur Kapitalverflechtung
USA - BRD siehe: Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt
1968 [Suhrkamp], bes. S. 502 ff. und Ders., Die EWG und die Konkurrenz
Europa - Amerika, Frankfurt 19694 [Europäische Verlagsanstalt].) Bei der Behandlung
dieser Problematik im Unterricht könnte es wichtig sein zu beachten, daß
es wegen der historischen Gebundenheit von Sozialisationsprozessen zu
unterschiedlichen Interpretationen der Faktoren des Problemzusammenhangs
bei Lehrern und Schülern kommen kann und wahrscheinlich kommen wird. (Vgl.
Helmut Hartwig, Unterrichtsbeispiel: Zur Situation der Schwarzen in den
USA, in: Politische Bildung H. 2/1970, S. 59 ff.) Bei der älteren Generation
gehen in die Beurteilung der Rolle der US-Armee Gedanken an den zweiten
Weltkrieg, aber auch an die Funktion der USA als Partner des Bündnisses
gegen den Kommunismus und bei der Entwicklung der sog. >›Wohlstandsgesellschaft<‹
ein. Das Verhältnis der Generation der heute knapp 40jährigen zu den USA
wird in einem Gedicht von Yaak Karsunke (Kilroy war hier, in: Ders., Kilroy
und andere, Berlin 1967 (Wagenbach, Quartheft 17), S. 65) deutlich. Die
Diskussion über dieses Gedicht kann es dem Schüler erleichtern, diese
Unterrichtseinheit auf sich zu beziehen. Hier wird,
wie schon unter M 13 / M 14 / M 15 erwähnt, offensichtlich, welche
Bedeutung der Vietnamkrieg für die Schüler wie für die Afroamerikaner
hat: Er ist die offenste Manifestation des Widerspruchs zwischen den Idealen
und den realen Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft. Außerdem werden
einige Bezugspunkte der »innenpolitischen Erwägungen und außenpolitischen
Rücksichten« seitens der Bundesregierung deutlich: Viel gefährlicher als
einige Gewalttaten (auch während der Gerichtsverhandlung konnte nicht
belegt werden, daß einer der Black Panthers den ersten Schuß abgegeben
bzw. nicht in Notwehr gehandelt hat. Der Rechtsstreit dauert noch an -
Vgl. FR v. 18. 6. 1971: Von den Zuhörerbänken das Echo »Power!«; FR v.
13.7. 1971: Pfuirufe nach Urteilsverkündung; FR v. 13. 7. 1971: Sechs
Jahre für Black Panthers) sind die u. U. von den Black Panthers und anderen
Gruppen ausgelösten Prozesse der Bewußtseinsveränderung. Außerdem hat
die BRD aus naheliegenden Gründen alles zu unterlassen und zu unterbinden,
was die Kampfkraft der US-Armee noch weiter verschlechtert und den Politisierungsprozeß
bei den GIs fördern könnte. |
M 39 Belange der BRD beeinträchtigt Bundesregierung
begründet Einreiseverbot für Black-Panther-Führerin ul/mö/mig. FRANKFURT/BONN/HEIDELBERG,
25.. November. Die Bundesregierung sieht
durch die Anwesenheit der Black-Panther-Führerin Kathleen Cleaver »erhebliche
Belange der Bundesrepublik, vor allem auf außenpolitischem Gebiet, beeinträchtigt«.
Mit dieser vom Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium gemeinsam
veröffentlichten Erklärung wurde das Einreiseverbot für die Frau des in
Algerien im Exil lebenden »Informationsministers« der Black Panther am
Dienstagabend motiviert. Wie in Bonn
zu erfahren ist, dürften für das Bundesinnenministerium wie auch für das
Auswärtige Amt innenpolitische Erwägungen und außenpolitische Rücksichten
den Ausschlag gegeben haben. Schon bei der Vorbereitung der geplanten
Veranstaltungen sei es zu »schweren Straftaten gekommen«, hieß es in der
Erklärung. Bewaffnete Angehörige der »Bladt Panther Party« hätten am 9.
Dezember 1970 auf dem US-Militärflughafen Ramstein (Pfalz) einen deutschen
Wachmann durch mehrere Schüsse verletzt. Gegen zwei der festgenommenen
Täter habe das Amtsgericht Zweibrücken Haftbefehl wegen Verdachts der
Beteiligung an einem »Mordkomplott« erlassen. Es müsse befürchtet werden,
daß das öffentliche Auftreten einer prominenten Funktionärin der »Black
Panther Party« in der Bundesrepublik Deutschland weitere Gewalttaten auslösen
könnte. Nachdem die Schüsse des rechtsradikalen Krankenpflegers Weil auf
die sowjetischen Wachsoldaten am Ehrenmal in Westberlin die ohnehin schwierigen
Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin und das Verhältnis Bonn-Moskau unnötig
belastet hätten, solle nicht noch eine zusätzliche diplomatische Störung
im Verhältnis zu den USA herausgefordert werden, verlautete in Bonn. (...
) Kathleen Cleaver
traf dennoch am Dienstagabend mit einer Lufthansamaschine auf Rhein-Main
ein. Sie wurde sofort in Gewahrsam genommen und eine halbe Stunde später
wieder nach Paris abgeschoben. (FR v. 26. 11 . 1970) M 40 (... ) Wie sehr sich die Bundesrepublik - auch nach Ablösung der alliierten
Vorbehaltsrechte durch ein deutsches Notstandsgesetz - den Interessen
der US-Armee verbunden sieht, bekommen deutsche Gruppen, die mit GIs zusammenarbeiten,
drastisch zu spüren. Ein Beispiel für mehrere: Erlangen. Aus einem Flugblatt
des Erlanger AStA: Am Freitag, dem 2. 10. (1970; Anm. d. Verf.), umstellten
30 Erlanger Polizisten und amerikanische Geheimdienstleute mit Maschinenpistolen
im Anschlag das Haus in Erlangen, in dem Genossinnen aus der mit GIs arbeitenden
Gruppe wohnen. Mit vorgehaltenen Pistolen drangen sie in die Wohnung ein,
indem sie ohne Erklärung die die Türe Öffnenden zur Seite schoben.
Trotz mehrmaliger Aufforderung wurde eine Legitimation für diese Aktion
erst nach einiger Zeit vorgelegt. Die Aktion wurde schließlich im Rahmen
einer Fahndung nach drei schwarzen GIs, die auf dem Weg ins Gefängnis
von 30 anderen befreit worden waren, ausgewiesen ... Die Suche nach
den Flüchtlingen erwies sich schnell als ergebnislos. Die in der Wohnung
vermuteten drei Schwarzen hatten das Haus noch nie betreten. Nachdem sich
aber die CID-Bullen schon einmal mit Bewilligung eines deutschen Gerichts
und in Begleitung deutscher Polizei in einer ihnen sonst unzugänglichen
Wohnung aufhielten, dehnte man die Suche gleich aus auf Unterlagen, die
in keinem Zusammenhang mit der Begründung des Hausdurchsuchungsbefehls
standen. Auf illegale Weise verschwanden Fotos und Briefe. Die Fotos zeigen
GIs, die allerdings schon wegen ihrer politischen Tätigkeit nach den USA
oder nach Vietnam versetzt worden waren, und deutsche Genossen, während
Demonstrationen in Erlangen ... (...) (Wolff/Taubmann, a. a. O., S. 31 f.) |
M 41 / M 42 Die Politisiertheit
der Gymnasiasten, die sich am deutlichsten in zunehmender >Wehrunwilligkeit<
äußert, scheint dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages besorgniserregend
genug zu sein. Was die Bundeswehrführung unter staatsbürgerlicher Unterrichtung
versteht, ist schon angesprochen worden (s. M 9 / M 10 / M 11). Daß bei
einem Großteil der Schüler ein »Mangel an staatspolitischer Unterrichtung«
im Sinne der Bundeswehr und daher an Bereitschaft besteht »für die Gemeinschaft
eine Pflicht zu erfüllen«, ist weithin auf ein kritisches politisches
Bewußtsein zurückzuführen und kann deshalb durchaus positiv bewertet werden. |
M 41 Schultz: Besorgniserregende Tendenzen
an Gymnasien Kp. MAINZ,
2. Juni. Noch immer stelle die Bundeswehr fest, daß bei den jungen Soldaten
erhebliche Lücken in ihrer staatsbürgerlichen Unterrichtung bestehen.
Daraus müsse man schließen, daß die Schule eine ihr gestellte Aufgabe,
nämlich den jungen Menschen an den Staat heranzuführen, nicht ausreichend
erfülle. Dies sagte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Schultz, bei
einer staatsbürgerlichen Informationstagung für Soldaten des Wehrbereichskommandos
IV in der Benediktinerabtei Maria Laach. Schultz meinte, beim staatsbürgerlichen
Unterricht vor allem an höheren Schulen seien zunehmend Tendenzen erkennbar,
daß der Staat in Frage gestellt werde. Die Folge sei eine nur geringe |
M 42 Insgesamt weist
die Statistik der Kriegsdienstverweigerer eine Zunahme von 14 374 Anträgen
im Jahre 1969 auf 19 363 im Jahre 1970 aus. In der Bundeswehr stieg die
Zahl der Antragsteller von 2507 im Vorjahr auf 3184 im Berichtsjahr. Hieraus
ergibt sich, daß die Antragszahl insgesamt von 1969 auf 1970 um ein knappes
Drittel, in den Streitkräften im gleichen Zeitraum etwa um ein Viertel
gestiegen ist. (... ) Die quartalmäßigen
Schwankungen sind nach meinem Eindruck auf eine verstärkte Antragstellung
seitens der Abiturienten zurückzuführen, die üblicherweise in den ersten
Monaten eines jeden Jahres gemustert werden. Meine Annahme wird dadurch
bestätigt, daß die Abiturienten unter der Gesamtzahl der Kriegsdienstverweigerer
stark überrepräsentiert sind. |
|
M 43 Schüler wie
Lehrer werden in diesem Abschnitt direkt angesprochen: Wenn sich für die
Schüler als Wehrpflichtige die Frage der Einstellung zur Bundeswehr, die
sie nach dem Abitur erwartet, ergibt, so für den Lehrer die Frage nach
der Konzeption des sozialkundlichen Unterrichts und seine Einstellung
gegenüber dem vom Verteidigungsministerium geforderten »Wehrkundeunterricht«.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB nimmt hier dezidiert
Stellung zu den Plänen, die »Lücken in (der) staatsbürgerlichen Unterrichtung«
der Schüler zu füllen. Ausgehend von
den drei schon vorher (s. M 13, M 14, M 15, M 26) angesprochenen Alternativen
zum Kriegsdienst: 1. Verweigerung; 2. Desertion (was für die Schüler gleichzusetzen
wäre mit dem Vortäuschen der Untauglichkeit bei der Musterung); 3. Politische
Arbeit in der Armee, könnte nun eine Diskussion über diesen Komplex stattfinden,
die - bezogen sowohl auf die Afroamerikaner in der US-Armee, als auch
auf die Schüler in der Bundeswehr - unter den Gesichtspunkten der Emanzipation
(individuell und gesellschaftlich) von den gestellten Anpassungsforderungen
geführt werden sollte. (Informationen
über den Kriegsdienst sind zu beziehen vom Bundeswehramt, 53 Bonn 7, Postfach
7120. Material über die Praxis der Kriegsdienstverweigerung und die Diskussion
ihrer politischen Implikationen versendet der Verband der Kriegsdienstverweigerer
in der War Resisters International e. V., 7 Stuttgart, Postfach 1159. Siehe auch: Heinz Liepmann [Hrsg.], Kriegsdienstverweigerung oder Gilt
noch das Grundgesetz?, Reinbek 1966 [rororo aktuell 885]). |
M 43 Lehrer-Gewerkscbaft gegen einseitige
Wehrpropaganda GEW-Antwort
an Schmidt: »Wehrdienst und Verweigerung müssen ausgewogen erörtert werden
können.« FRANKFURT,
4. Juli. »Die GEW wird sich jedem Versuch staatlicher Instanzen entschieden
widersetzen, ein Fach Wehrkunde direkt einzuführen oder auf andere Weise
Wehrpropaganda in den Schulen zu treiben.« Dies erklärte die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft nach einer Sitzung ihres Hauptvorstandes am
Wochenende in Frankfurt. Die Gewerkschaft hatte eine Stellungnahme zu
einem Schreiben von Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt erarbeitet,
in dem der Minister den Vorwurf erhoben hatte, daß an den Schulen keine
Vorbereitung auf die Notwendigkeit des Wehrdienstes erfolge. Der GEW-Vorsitzende
Frister erklärte dazu in einer Pressekonferenz, daß seine Organisation
Informationen über die Verteidigung und über die Bundeswehr nicht ablehne.
Man sei jedoch gegen eine einseitige Wehrpropaganda. Ebenso verneint werde
von der Gewerkschaft allerdings auch eine einseitige Propaganda für die
Kriegsdienstverweigerung. In der Erklärung des GEW-Vorstandes heißt es
zu diesem Punkt: »Die GEW hat
sowohl die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes wie auch die Rechtsprechung
auf ihrer Seite, wenn sie ihre Mitglieder darin bestärkt, nach wie vor
das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung mit zumindest gleichem Rang
im Unterricht zu behandeln, wie die Wehrdienstpflicht. Das Recht des Lehrers,
seine eigene politische Meinung zu äußern, bleibt unbestritten. Für den
schulischen Unterricht muß nach wie vor gewährleistet sein, in ausgewogenem
Verhältnis sowohl auf den Wehrdienst, wie auch auf die Verweigerung als
zumindest gleichwertige Möglichkeit hinzuweisen.« Die Gewerkschaft
hat die Vorwürfe von Verteidigungsminister Schmidt insgesamt als »nicht
überzeugend« qualifiziert und verwies besonders darauf, daß in allen Bundesländern
Schulbücher, Lehrpläne und teils auch Erlasse der Ministerien die Behandlung
des Problemkreises »Bundeswehr« im Unterricht vorsähen. Man könne jedoch
den Schulen keinen Vorwurf machen, wenn Schüler aus der kritischen Reflektion
über die deutsche Geschichte, die gegenwärtige internationale Lage und
die Zusammenhänge von Rüstung und Krieg die Konsequenz zögen, den Kriegsdienst
zu verweigern. (Ulrich Mackensen, in: FR v. 5. 6. 1971) |
M 44 Nun soll ein zweiter möglicher Unterrichtsstrang
angedeutet werden. Wenn man die
Informationen von M 2, M 4, M 12, M 31, M 37 berücksichtigt und diesen
sehr konkreten Text hinzuzieht, stellt sich die Frage nach den Ursachen
eines so irrationalen, festverwurzelten Verhaltens. Um auf diese Frage
eine Antwort geben zu können, muß zunächst versucht werden, weitere konkrete
Erfahrungen zu sammeln. Dazu geeignet wäre eine Befragung von Verwandten
und Bekannten. Lehrreich wäre auch die Zimmersuche für einen (u. U. anscheinend
nicht vorhandenen) Afrikaner. Die Ergebnisse
dieser empirischen Tätigkeiten schaffen genügend Motivation, um sich mit
der Entstehungsgeschichte des Vorurteils - in diesem Falle gegenüber afrikanisch
Aussehenden - zu beschäftigen. Dazu geeignet sind Kinder- und Jugendbücher,
die die Schüler aus einer zurückliegenden Periode ihres Sozialisationsprozesses
kennen: »Zehn kleine Negerlein«, »Struwwelpeter« und andere, modernere
Comics, »Onkel Toms Hütte«, »Huckleberry Finn«, Karl May, Afrikabücher,
Heiligensagen (um den schwarzen der drei Weisen aus dem Morgenlande),
Geschichtsbücher und ihre Darstellung des deutschen Kolonialismus, »Othello«.
Außerdem könnten Analysen von Fernsehfilmen aus amerikanischen Krimiserien
versucht, Illustrierte durchforstet und die Darstellung von Afrikanern
in der bildenden Kunst untersucht werden. |
M 44 Diskotheken
in Frankfurt weisen farbigen Soldaten die Tür/»Mit lauter so Amis macht
man kein Geschäft: Zum Tanzen bitte weiße Gesichter«/Rassendiskriminierung
nicht nur in den USA. Von Norbert Leppert (...) Drei Freunde
gehen bummeln: Jimmie Archie (21), Bradford Burke (20) und Ralph Lipsey
(20) fahren nach dem Dienst in der 3rd Armed Division mit dem Auto downtown.
Sie steuern ein Tanzlokal in der Mainzer Landstraße an. Windsor Club,
modern und exclusiv: So prangt es in dicken Lettern an den Fensterscheiben. Was jedoch
modern und damit zeitgemäß ist, bestimmt der Chef. Er hat angeordnet,
daß »Nigger« im Club nichts zu suchen haben. Jimmie, Bradford und Ralph
mögen noch so überzeugend argumentieren. Der Chef weist ihnen die Tür.
»Wenn wir die reinlassen«, sagt ein junger Mann, der als Kellner harte
Sachen serviert, »haben wir nur noch Schwarze hier. Und dann geht das
Lokal kaputt wie alle anderen auch. Mit lauter so Amis kann man kein Geschäft
machen.« Aber: Die Farbigen
seien nicht knapp bei Kasse, heute sei Zahltag gewesen? »Uns geht's ja
nicht ums Geld«, winkt die Bedienung von Windsor Club ab, »wir wollen
... « Und ein ohrenbetäubender Beat verschluckt die Erklärung. Die drei
GIs stehen auf der Straße. Ziel Nummer zwei ist Number one, Diskothek
in der Großen Friedberger Straße. An der Kasse hockt ein Schmalschultriger mit langen Haaren, über ihm ein
Pappschild. »Die Direktion hat das Recht, ohne Angabe von Gründen vom
Hausrecht Gebrauch zu machen.« So willkürlich tut sie es denn auch. Jimmie, Bradford und Ralph dürfen nicht
hinein, weil sie keine Clubkarte besitzen. Sie möchten eine kaufen, aber:
Keine Clubkarten mehr da. Die drei US-Soldaten
möchten mit dem Geschäftsführer reden. Allerdings kommt er nicht, außerdem
soll er kein Englisch sprechen. Ralph aber gibt nicht auf, ein freundliches
Number-one-Mitglied leiht ihm eine Clubkarte. Dennoch: Kein Eintritt.
»Kommt in einem halben Jahr wieder«, tröstete der Kassierer, »da gibt
es Clubkarten«. Dann fertigt er neue Gäste ab: deutsche Mädchen und Männer,
die 2,50 Mark zahlen und ohne irgendwelche Clubkarten das ungewöhnlich
leere Lokal füllen. Jimmie, Bradford und Ralph müssen Leine ziehen. »So
wie heute ist es jedes Mal«, resignieren alle drei. »Anders aber bei unseren
weißen Kameraden. Die kommen überall rein.« (... ) (FR v. 3. 5.
1971) |
M 45 /M 46
Bei der Untersuchung
des Vorurteils gegenüber Afroamerikanern ist zu beachten, daß diese den
Großteil der in Deutschland lebenden Schwarzen ausmachen. Es ist zu vermuten,
daß das Vorurteil ihnen gegenüber sich von dem gegenüber Afrikanern unterscheidet,
weil sie hier als Soldaten einer deutlich als dominierend empfundenen
Macht stationiert sind (vgl. M 39 / M 40). Zusätzlich richten sich gegen
sie also die Aggressionen, die sich gegen Armeeangehörige (auch die weißen)
und amerikanische Touristen wenden. Wenn auch weiße Amerikaner angeblich
»überall reinkommen«, so haben sie doch auch unter Diskriminierungen zu
leiden. Diese können als subjektive Kompensation des starken Unterlegenheitsgefühles
gegenüber den »Siegern«, »Befreiern«, »Helfern« interpretiert werden.
Der Verfasser z. B. vermeint beim Anblick amerikanischer Touristen jedesmal,
ihren Besitzanspruch als »Sieger«, der sich in Besichtigungen konkretisiert,
wahrzunehmen. Daß zu den
Siegern »Neger« gehören, muß um so schlimmer erscheinen (vgl. M 12).Ihre
zunehmende Diskriminierung ist wohl auch dadurch zu erklären, daß durch
die Auswirkungen des »Wirtschaftswunders« ein durchschnittlicher Arbeiter
heute mehr verdient als ein GI, wohingegen es sich während des ersten
Nachkriegsjahrzehnts umgekehrt verhielt. Ein Rallye-Kadett unterscheidet
sich nicht mehr so sehr von einem Ford Mustang. (Vgl. Charles C. Moskos,
a. a. O., S. 144. Dennoch gaben irgendwann um 1966 64 % der afroamerikanischen
Soldaten an, in Deutschland besser behandelt zu werden als in den USA,
6 % waren der gegenteiligen Auffassung und der Rest sah keinen Unterschied.
Vgl. ebda., S. 145. Aber: M 37, M 38). |
M 45 Taxifahrermord von Fürth steht vor
der Aufklärung ma. FÜRTH, 23. September. Der Taxifahrermord an dem 48 Jahre alten Chauffeur Rudolf Stahlhofen steht vor der Aufklärung. Amerikanische und deutsche Polizeibeamte haben unter dringendem Tatverdacht zwei farbige Gefreite der amerikanischen Armee im Alter von 18 und 20 Jahren festgenommen, die bei einer Versorgungseinheit in den »Monteith Barracks« stationiert sind. In unmittelbarer Nähe dieser Kaserne am Stadtrand von Fürth war Stahlhofen in seinem Taxi erschossen und ausgeraubt worden. Bei den zwei Farbigen wurde jene Kleidung gefunden, die nach Zeugenaussagen die letzten beiden farbigen Fahrgäste Stahlhofens getragen haben. Die beiden festgenommenen Soldaten leugnen die Tat. Sie haben für die Mordzeit kein Alibi. (FAZ v. 24.
9. 1971) |
Durch das Material
wird weiterhin das dialektische Verhältnis von Diskriminierung durch die
Bevölkerung der BRD, und Gewalttätigkeit gegen sie deutlich: Die auch
durch die erlittene Diskriminierung begünstigte Aggressivität richtet
sich zum Teil gegen die Bevölkerung und bestärkt so die Bevölkerung in
ihren Vorurteilen (Gewalttätigkeit, Kriminalität, Triebhaftigkeit), was
zu stärkerer Diskriminierung führt usw. (Zu den spezifischen Verhaltensweisen
von Gettobewohnern und ihrer Entstehung
> Familie/Schule, S. 62 f.) Die objektive
Funktion dieser Vorurteile ist, so sollte diese Unterrichtseinheit auch
ergeben haben, die Beherrschten gegeneinander auszuspielen: Ebenso wie
in der Armee die gegenseitigen Vorurteile von GIs verschiedener Hautfarbe
ein gemeinsames Vorgehen erschweren, richten sich die Aggressionen der
auch durch das amerikanische Kapital ausgebeuteten Bevölkerung gegen die
sichtbarsten Vertreter Amerikas, die GIs, die selbst durch die Armee unterdrückt
und in den USA durch das gleiche Kapital ausgebeutet werden. Diese Behauptung
könnte weiter untersucht werden an den Beispielen des Vorurteils gegenüber
Gastarbeitern oder Juden; dabei könnte dessen ökonomische Funktion (die
psychische Bewältigung der Gefährdung des Arbeitsplatzes durch ausländische
Konkurrenten und die Verhinderung von Solidarität bzw. m. E. die Ausschaltung
unerwünschter Konkurrenz) besonders deutlich werden. Vorurteile gegen
»Rocker«, »Hippies« oder Studenten demonstrieren, daß das Wort »Rassenvorurteil«
nur ein spezifisches Vehikel des Vorurteils bezeichnet, das äußere Merkmale
benötigt, nach denen die Welt in >gut< und >böse<, >sicher<
und >gefährlich<, >richtig< und >falsch< eingeteilt
wird und an die sich die Vorurteile knüpfen lassen. |
M 46 Schimpfworte
weil sie im Getto leben müssen / Aggressionen amerikanischer Kinder gegen
:Münzenbergschule Von Norbert Leppert Samstags, wenn der Hausmeister den Schulhof fegt, macht er sich auf allerhand gefaßt. »Dann hocken sie in den Bäumen«, und mit dem Kopf deutet Ernst Becker (45) auf die amerikanische Wohnsiedlung, »und sie rufen mir Schimpfworte zu: Du deutsches Schwein, du Nazi-Sau!« so führen amerikanische Kinder seit Jahren ihren kleinen Krieg gegen die Münzenbergschule - ein Konflikt, der eine mangelhafte Integration der Amerikaner widerspiegelt. Von Terror
möchte Ernst Becker nicht sprechen, wenn auch das Sündenregister der US-Lausbuben
lang ist. Immer wieder klirren Fensterscheiben der Schule in der Engelthaler
Straße, und sorgsam sammelt der Hausmeister die Wurfgeschosse: große Steine,
kleine Steine, Steckachsen. Als kürzlich
die Frau des Pedells von einem Stein am Kopf getroffen wurde, machte die
Geschichte in Eckenheim die Runde. Und so mancher fühlte sich in seiner
ablehnenden Haltung gegenüber den US-Angehörigen bestätigt - vergaß freilich
darüber, daß erst die Diskriminierung solches Klima schafft. »Die Eckenheimer
haben die Amerikaner schlecht aufgenommen«, so Bezirksvorsteher Martin
Zahn. »Beim Schoppen meidet man sie, und wenn Farbige ein Zimmer suchen,
stoßen sie auf Ablehnung.« Ihre Probleme
in deutschem Land mit deutschen Leuten übertragen die US-Eltern auf ihre
Kinder. »Die werden zu Hause aufgewiegelt«, mutmaßt Ernst Becker, der
an der Turnhalle auch Hakenkreuze und Fuck-Parolen entdeckte. Die Kicker
vom SV Viktoria glaubten sich eines Abends so sehr von Steinwerfern bedroht,
daß sie nach dem Training durch den Notausgang der Turnhalle nach Hause
eilten. Mit Briefen
und guten Worten wollten Schule und US-Standortkommandantur die Sache
aus der Welt schaffen. Drei-Sterne-General Clair Hutchin richtete einen
Appell an alle US-Familien in der Gedener Straße und bat darum, die Kinder
besser zu beaufsichtigen. »Nach einem solchen Schreiben war ein dreiviertel
Jahr lang Ruhe«, erfuhr der Hausmeister, .aber dann ging der Rummel aufs
neue los.« Für Albert Unicower, Sachbearbeiter in Hessen für kulturelle
Angelegenheiten der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte, liegt
der Fall klar: »Hier fehlen die Kontakte. Die amerikanischen Kinder möchten
mit den deutschen gern spielen, aber sie wissen nicht, wie sie es anfangen
sollen.« (FR v. 6. 7.
1971) |
Literatur Volkhard Brandes
und Joyce Burke, USA - Vom Rassenkampf zum Klassenkampf, München 1970
(dtv report 669) Eldridge Cleaver, Seele auf Eis, München 1970 (dtv Nr. 710 Franz Josef
Degenhardt, Spiel' nicht mit den Schmuddelkindern, Reinbek 1969 (rororo-Taschenbuch
1168) Anton Andreas
Guha, Sexualität und Pornographie, Die organisierte Entmündigung, Frankfurt
1971 (Fischer Bücher des Wissens 6153) Yaak Karsunke, Kilroy und andere, Berlin 1967 (Wagenbach Quartheft 17) Rene König
(Hrsg.), Beiträge zur Militärsoziologie. Sonderheft 12/1968 der Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie {Westdeutscher Verlag,
Köln und Opladen} Das Parlament, 21. Jg., Nr. 18, 1. 5. 1971 Wilhelm Reich,
Massenpsychologie des Faschismus, o.O., 19342 (Erhältlich als
Raubdruck) Report of the
National Advisory Commission on Civil Disorders, New York 1968 (A
Bantam Book, QZ 4273) Eberhard Schmidt,
Die verhinderte Neuordnung, Frankfurt 1970 (Europäische Verlagsanstalt) Hans Helmut
Thielen, Der Verfall der Inneren Führung, Frankfurt 1970 (EVA) Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, Frankfurt 19705 (Europäische Verlagsanstalt) |
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