EuroMOMO und das Mortalitäts-Monitoring (MoMo) des Instituto de Salud
Carlos III (ISCIII) stimmen darin überein, dass ihre Daten ein
außergewöhnliches Sterbegeschehen der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren
darzustellen scheinen. Dieses Phänomen lässt sich mit europäischer
Perspektive beobachten, aber auch auf nationaler sowie regionaler
spanischer Ebene.
Das Instituto Nacional de Estadística bestätigt dies für Spanien mit
seinen endgültigen Daten für 2021 und den provisorischen Daten für das
erste Halbjahr 2022 und bildet darüber hinaus auch eine Anstieg der
Sterbezahlen bis zum Alter von 24 Jahren bzw, in letzter Zeit auch bis
zu 39 Jahren ab.
Entsprechend ihrer Aufgabe, eine Art Frühwarnsystem für epidemiologisch
Bedeutsames zu sein, differenzieren die Mortalitäts-Monitorings
innerhalb der Darstellung des zeitlichen Verlaufs des Sterbegeschehens
nach Regionen, Altersgruppen und zum Teil nach Geschlecht, aber nicht
nach Todesursache, was einem zweiten Schritt und anderen Institutionen
der öffentlichen Gesundheitsvorsorge überlassen bleibt. Üblicherweise
liefert das Nationale Institut für Statistik (INE) die nach Ursachen
aufgeschlüsselten Sterbestatistiken jeweils am Ende des folgenden
Kalenderjahres, also mit großer zeitlicher Verzögerung.
Das erklärte Ziel von EuroMOMO: "EuroMOMO ist eine europäische Maßnahme
zur Überwachung der Sterblichkeit, die darauf abzielt, übermäßige
Todesfälle im Zusammenhang mit saisonaler Grippe, Pandemien und anderen
Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu erkennen und zu messen."
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Das erklärte Ziel des "Systems zur Überwachung der täglichen
Gesamtmortalität (MoMo)" des Instituto de Salud Carlos III (MoMoISCIII)
- ausgehend vom "Rahmen des 'Plans für vorbeugende Maßnahmen gegen die
Auswirkungen der zu hohen Temperaturen'.... - war es, Abweichungen der
beobachteten täglichen Sterblichkeit von der aus historischen
Sterblichkeitsreihen erwarteten zu ermitteln. In der Folge wurde seine
Anwendung auf andere Situationen im Jahresverlauf ausgedehnt, um die
Auswirkungen jeglicher wichtiger Ereignisse im Bereich der öffentlichen
Gesundheit indirekt abzuschätzen".
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Im Widerspruch zum Selbstverständnis dieser beiden Einrichtungen zur
Überwachung des Sterbegeschehens wird nun in beiden zunächst auf der
methodologischen Ebene nach Fehlern gesucht mit dem Ziel, bessere, der
aktuellen Situation angemessenere statistische Vorgehensweisen zu
finden.
EuroMOMO sieht ausdrücklich in der COVID-19-Pandemie eine mögliche
"Fehlerquelle", die ein "revidiertes Modell" ("revised model") der
Datenverarbeitung wünschenswert erscheinen lässt. (Siehe unter
1.1.2.!)
Laut einer Verlautbarung des Kanarischen Gesundheitsministers im
Kanarischen Parlament, die von etlichen Tageszeitungen wiedergegeben
wurde, seien sich die Verantwortlichen des ISCIII bewusst, "dass Vieles
nicht in Ordnung sei" und dass "sie es aktualisieren müssen". ["Trujillo
ha indicado que los datos en los que se apoya el PP parten del registro
de mortalidad del Instituto Salud Carlos III (MoMo) cuyos responsables,
ha dicho, 'reconocen que está fallando mucho' y que 'lo tienen que poner
al día'”.]
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So laufen beide Mortalitäts-Monitorings Gefahr, über der Beschäftigung
mit einem revidierten Berechnungsmodell mögliche und denkbare
Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit aus dem Auge zu verlieren.
Eine Alternative wäre, entsprechend dem ursprünglichen Zweck des
"Frühwarnsystems" Mortalitäts-Monitoring, zunächst in den zu
ermittelnden Sterbe
ursachen nach möglichen Faktoren Ausschau zu
halten, die ursächlich für das veränderte Sterbegeschehen sein könnten,
bevor man Fehler in der Methodologie konstatiert. Diese prompte
Konstatierung methodologischer Fehler angesichts ungewöhnlicher Verläufe
würde - zu Ende gedacht - den Zweck des Mortalitäts-Monitorings, den es
während er COVID-19-Pandemie fraglos erfüllt hat, verunmöglichen.
Hypothetische und zu falsifizierende bzw. auszuschließende Faktoren, die
einzeln oder (synergetisch) gemeinsam, auch mit anderen, bisher völlig
unbekannten Faktoren, das Sterbegeschehen - sowohl verringernd wie bei
den Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre während des ersten Jahres der
Pandemie, als auch verstärkend, wie zur Zeit vor allem bei den bis
14-jährigen - beeinflussen könnten, sind:
- Gegen das Virus Sars-COV-2 getroffene Maßnahmen: Hypothetisch
könnte der Rückgang der Sterblichkeit währen des ersten Jahres der
Pandemie mit einem Rückgang von Unfällen als Todesursache
(Schulschließungen, Reduzierung von Aktivitäten außerhalb des
eigenen Haushalts, weniger Verkehrsteilnahme...) und mit einem durch
die hygienischen Maßnahmen erreichten allgemeinen Rückgang von
Infektionskrankheiten in Verbindung stehen.
- Umgekehrt könnte die Aufhebung der allgemein Infektionen
reduzierenden Maßnahmen eine Art Nachhol-Effekt haben: Größere
Anfälligkeit für die Krankheitserreger, vor denen die Kinder und
Jugendlichen in ungewöhnlicher Weise geschützt waren.
- Sozioökonomische Veränderungen der Lebenssituation dieser
Altersgruppe.
- Verschlechterte (psychologische, psychotherapeutische,
psychiatrische) Betreuung durch das überlastete Gesundheitswesen.4
- Das Virus Sars-COV-2. Bisher hatte es in dieser Altersgruppe
praktisch keine Bedeutung, dennoch wäre das zahlenmäßige Verhältnis
von infizierten/erkrankten zu nicht infizierten/erkrankten Kindern
und Jugendlichen an den Sterbefällen zu vergleichen mit dieser
Relation bei der Altersgruppe insgesamt.
- Die Schutzimpfung gegen das Virus.3 Es wäre das
zahlenmäßige Verhältnis von geimpften zu ungeimpften Kindern an den
Sterbefällen zu vergleichen mit dieser Relation bei der Altersgruppe
insgesamt.
- Die psychischen Auswirkungen der Pandemie: Zunahme von Problemen
der Lebensperspektive, mediale Überlastung, Ungewissheit, Angst...4
- Die psychischen Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen: auferlegte
Verantwortung für Gesundheit und Wohlergehen der Älteren, soziale
Distanzierung und Isolation, Verringerung des Selbstwertgefühls,
Ende der Sicherheit vermittelnden Routinen, Unterminierung der
Lebensplanung, Angst, Depression... 5
- Veränderungen in der psychischen Verfassung der betreffenden
Altersgruppe durch andere Faktoren wie die Nebenwirkungen der
sozialen Netzwerke und der Mediennutzung allgemein, gesteigerte
Kompetitivität, das aktuelle Bewusstsein der Klima-Katastrophe,
Krieg und Kriegsangst, pessimistische ökonomische Perspektive und
ihre Auswirkungen auf Primärgruppe (Familie) und peer group
(Freunde): Angst, Verzweiflung, Depression.6
In der spanischen Gesamtbevölkerung ist währen der letzten Jahre ein
erheblicher Anstieg im Gebrauch von Antidepressiva
7 und der
Suizide zu verzeichnen.
Warnende und fordernde Stimmen in Bezug auf die psychischen Auswirkungen
der Pandemie seit Herbst 2020, vor allem auf Kinder und Jugendliche, die
sogar von einer "neuen Pandemie" sprechen, und in Bezug auf die
chronifizierte Unterversorgung gibt es in den Medien seit Mitte 2021.
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Spanien im Sommer 2022: ZUSAMMENFASSUNG
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