1.1. EuroMOMO
1.1.2. Die Diskussion durch EuroMOMO
EuroMOMO weist im Bulletin der Woche 39/2022 auf den rätselhaften
Sachverhalt ausdrücklich hin:
"Anmerkung zur beobachteten Übersterblichkeit in der Altersgruppe 0-14
Jahre
im Zeitraum 2021-2022
Seit Mitte 2021 wurden in der Altersgruppe der 0-14-Jährigen einige
ungewöhnliche Übersterblichkeitssignale beobachtet. EuroMOMO untersucht
in Absprache mit den am Netzwerk beteiligten Ländern die mögliche
Erklärung für diese Signale.
Aus methodologischer Sicht ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die
derzeit im EuroMOMO-Algorithmus für die Übersterblichkeit verwendete
Mortalitäts-Basislinie keine Sterblichkeitsdaten aus den Jahren 2020,
2021 oder 2022 enthält, die durch eine schwankende Übersterblichkeit im
Zusammenhang mit den Gesamtauswirkungen der COVID-19-Pandemie,
einschließlich unterschiedlicher Einschränkungen, beeinflusst werden,
wodurch das 'normale' Sterblichkeitsniveau verzerrt werden könnte.
Außerdem soll nochmals betont werden, dass EuroMOMO keine über die
Mortalitätsdaten hinausgehenden Daten erhebt, um Fragen zur Kausalität
der beobachteten Mortalitätssignale zu beantworten. Daher sollten die
Ergebnisse von EuroMOMO in keiner Weise als 'Beweis' für die zugrunde
liegenden Ursachen ungewöhnlicher Mortalitätsmuster herangezogen
werden."
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Im Bulletin der Woche 43/2022 heißt es dazu:
"Warnhinweis zur von EuroMOMO für die Pandemiejahre gemeldeten
kumulierten Übersterblichkeit
Die Übersterblichkeit wird von EuroMOMO jede Woche als Differenz
zwischen der beobachteten Zahl der Todesfälle und der geschätzten
erwarteten Zahl der Todesfälle (der Basislinie) berechnet. Die
kumulierte Übersterblichkeit wird für jedes Kalenderjahr nach Wochen
ausgewiesen und durch Addition der wöchentlichen Übersterblichkeit über
die Wochen der Beobachtung berechnet.
Aufgrund der unerwarteten und schwankenden Sterblichkeit während der
COVID-19-Pandemie enthält die berechnete Basislinie, die bei der
EuroMOMO-Schätzung der überhöhten Zahl der Todesfälle zugrunde gelegt
wird, keine Daten aus dem Jahr 2020 und darüber hinaus, da diese Daten
das geschätzte Niveau der Zahl der der Basislinie zugrunde gelegten
Todesfälle verzerren würden.
Aufgrund des Ausschlusses von Daten aus der COVID-19-Pandemie wird
der Trend, der in die statistische Schätzung der
Basislinie einfließt, derzeit über die vorgesehene Dauer hinaus
fortgeschrieben. Diese Verlängerung der Vorhersage hat im Laufe der
Zeit zu einer zunehmenden Verzerrung geführt, die zu falschen
Schätzungen der Übersterblichkeit führen kann, insbesondere wenn die
Zahlen kumuliert werden.
Aufgrund dieser verstärkten Verzerrung bei der Kumulierung von Daten
sollten die kumulierten Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt nicht als
zuverlässig angesehen werden und müssen mit großer Vorsicht
interpretiert werden.
Ein Beispiel ist die Zahl der Todesfälle in
der Altersgruppe 0-14 Jahre, wo die EuroMOMO-Länder in den Jahren
vor der COVID-19-Pandemie einen Rückgang der Sterblichkeit
verzeichneten. Das Modell setzt diese rückläufige Grundmortalität
linear fort. Vor der COVID-19-Pandemie gab es in dieser Altersgruppe
durchschnittlich 361 Todesfälle pro Woche. In Woche 40, 2022, gibt
es aufgrund dieses linearen Trends eine Verzerrung von etwa 8,5 %,
was bedeutet, dass die erwartete Zahl der Todesfälle (die
Basislinie) um 29 Todesfälle niedriger als in Woche 1, 2020,
vorhergesagt wird. Das bedeutet, dass, obwohl die Anzahl der
gemeldeten wöchentlichen Todesfälle in Woche 40, 2022 und Woche 1,
2020 gleich ist, die niedrigere Basislinie in Woche 40, 2022 zu
einer um 29 Todesfälle höheren Übersterblichkeit in dieser Woche
führt. Bei der Kumulierung der wöchentlichen Zahl der überzähligen
Sterbefälle wird diese Verzerrung aufgrund der Verlängerung des
linearen Trends in der Basislinie groß und kann daher zu falschen
Schätzungen führen.
Während der COVID-19-Pandemie gab es in der Lockdown-Periode (Woche
1, 2020 bis Woche 21, 2021) durchschnittlich 326 Todesfälle pro
Woche und in der darauffolgenden Periode (Woche 22, 2021 bis Woche
40, 2022) durchschnittlich 345 Todesfälle pro Woche, die beide
niedriger sind als der Durchschnitt von 361 Todesfällen pro Woche,
der in der Periode vor der COVID-19-Pandemie (Woche 1, 2018 bis
Woche 52, 2019) beobachtet wurde. Mit anderen Worten: Das
EuroMOMO-Mortalitätsüberwachungssystem stellt während der laufenden
COVID-19-Pandemie nicht mehr Todesfälle bei den 0- bis 14-Jährigen
fest als in der Zeit vor der COVID-19-Pandemie, auch wenn die auf
der EuroMOMO-Website gemeldeten kumulierten Ergebnisse dies vermuten
lassen. (Hervorhebungen durch R.W.)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verzerrungen bei den
wöchentlichen Schätzungen der Übersterblichkeit nach wie vor relativ
gering sind und sich innerhalb eines vernünftigen und akzeptablen
Rahmens bewegen, so dass sie für den ursprünglichen Zweck, d. h. die
Evaluierung wöchentlicher Veränderungen der Mortalität, verwendet werden
können.
Die EuroMOMO-Drehscheibe arbeitet zusammen mit den teilnehmenden
Ländern an Lösungen, um die Verzerrungen zu verringern; ein
überarbeitetes Modell wird jedoch voraussichtlich nicht im Jahr 2022
einsatzbereit sein."2
Zusammengefasst: Es gibt in dem Modell der erwarteten Todesfälle aus
der langjährigen Erfahrung der Verringerung der Kindersterblichkeit
ein deutlich erkennbares "Gefälle" von links nach rechts: Man ging
bisher erfahrungsgemäß davon aus, dass die Sterblichkeit dieser
Altersgruppe ständig zurückgeht und hat entsprechend die
Berechnungsmethode der Übersterblichkeit darauf eingerichtet.
Nun sterben tatsächlich nicht mehr Kinder, als vor der
Pandemie, aber - mit Ausnahme des ersten Jahres der Pandemie, als der
Rückgang der Todesfälle bei Kindern gravierend war - setzt sich
nunmehr der bisher übliche Rückgang der Kindersterblichkeit nicht
fort. (Würden die Daten aus der Pandemie in die Berechnung
einbezogen, was sie bisher nicht werden, ergäbe sich sogar ein noch
stärkerer Rückgang der zu erwartenden Kindersterblichkeit,
statistisch gleichbedeutend mit einer noch stärkeren Erhöhung der
gegenwärtigen Übersterblichkeit dieser Altersgruppe.)
Man beabsichtigt, das Problem durch eine neue Berechnungsmethode zu
lösen.
Hieß es im Bulletin 39/2022 noch (Siehe oben!): "Seit Mitte
2021 wurden in der Altersgruppe der 0-14-Jährigen einige
ungewöhnliche Übersterblichkeitssignale beobachtet. EuroMOMO
untersucht in Absprache mit den am Netzwerk beteiligten Ländern
die mögliche Erklärung für diese Signale." (Hervorhebung
durch R.W.),, wird nun nur noch nach einer statistisch-technischen
Erklärung des Endes des Rückganges der Kindersterblichkeit gesucht:
"Die EuroMOMO-Drehscheibe arbeitet zusammen mit den teilnehmenden
Ländern an Lösungen, um die Verzerrungen zu verringern;
ein überarbeitetes Modell wird jedoch voraussichtlich
nicht im Jahr 2022 einsatzbereit sein." (Siehe oben!) (Hervorhebungen
durch R.W.)
---> Weiterlesen: 1.2. Spanien: MoMoISCIII und
Nationales Statistik-Institut